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Fruchtzwerge und Landliebe

Dada-Lyrik auf Dokumenten der Überflussgesellschaft: Eine Sammlung gebrauchter Einkaufszettel in Juliettes Literatursalon

Fast schon ein Gedicht: „Oil of Olaz, Lippenstift u. Nagellack, warme Farben des Sonnenuntergangs“

Man kennt das ja. Hat man erst einmal einen Chip oder ein Markstück herausgekramt, um im Supermarkt überhaupt an einen Einkaufswagen zu kommen, muss man anschließend auch noch den vom Vorbenutzer zurückgelassenen Unrat entsorgen: Welke Salatblätter zum Beispiel, Sonderangebotsprospekte oder Einkaufszettel. Letztere haben zu diesem Zeitpunkt ihren Zweck schon erfüllt. Normalerweise landen sie im Müll, die beiden Kölner Bettina Harperath und Thomas Taepke haben einen genaueren Blick darauf geworfen und die Dinger über Jahre hinweg gesammelt.

Eine Auswahl hängt jetzt in Juliettes Literatursalon säuberlich gerahmt und hinter Glas – und schon sind aus diesen banalen Gedächtnisstützen kleine Kunstwerke geworden. Oder eher Zeugnisse des Spätkapitalismus? Dokumente der Überflussgesellschaft? Oder gar Dada-Poesie?

Diese klassischen objets trouvés, entrissen dem ursprünglichen Entstehungszusammenhang, lassen sich plötzlich in viele Richtungen hin interpretieren. Das Material ist schlicht: Papier, na klar. Doch in den verschiedensten Variationen. Mal vom klassischen Notizblock, mal von diesen länglichen Rechnungsblöcken, welche die Kellner in den Kneipen von ihren Brauerein zur Verfügung gestellt bekommen. Alte Briefumschläge, hastig aus einem Schulheft abgerupfte Ecken oder aus dem Adressbuch herausgerissene Seiten. Dann die verschiedenen Schriften! Mal krakelige, mal feine und um Lesbarkeit bemühte. Orthografische Sonderlichkeiten, mit denen die Rechtschreibung schamlos außer Kraft gesetzt wird: „Katofeln“, „Zwibeln“.

Manch Zettel evoziert kleine Geschichten. „Mein Sohn darf 2 Küppers Kölsch für mich kaufen. Chr.“ (unleserlich). Ist Papa ein Säufer oder einfach nur ein fauler Hund? Oder hat Sohnemann den Auftragszettel gefälscht und kippt das Bier höchtselbst hinter die Binde?

Andere Listen geben wahre Rätsel auf. „Oil of Olaz, Lippenstift u. Nagellack, warme Farben des Sonnenuntergangs“. Das könnte fast schon ein Gedicht sein. Den zweiten Vers leihen wir uns einfach von einem anderen Zettel: „Salz, Seife, Wasserwaage, das Ding im Kofferraum“. Da fehlten dem Autor einfach die Worte. Ob er das „Ding“ im Kaufhaus tatsächlich gefunden hat? Und was war es? Was haben wir uns unter einem „B-H Entferner“ vorzustellen? Und was unter „Essig-Kandis“ und einer „Kanzler-WG“?

Wer sich nicht dem Werbefernsehen aussetzt und keine Ahnung von den dort angepriesenen Produkten hat, der wird auch über eine solche Liste staunen: „4 Fruchtzwerge, 1 Landliebe, 2 Ufo“.

Irgendwie Dada-Lyrik, was da rein zweckmäßig und entsprechend gedankenlos niedergeschrieben wurde. Man blickt auf diese Fundstücke, gerät ins Schmunzeln und ins Grübeln, und wird sich wahrscheinlich nie mehr wieder ganz unbedarft neue Einkaufszettel schreiben können.

Und das nächste Mal im Supermarkt wird man sehnsüchtig nach solchen fremden, skurrilen und geheimnisvollen Botschaften Ausschau halten und sie niemals gleich achtlos in den nächsten Papierkorb befördern.

Axel Schock

Bis 5. 2, Juliettes Literatursalon, Gormannstr. 25, Mitte

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