Generäle sollen büßen

Zwei Untersuchungskommissionen belegen: Indonesiens Armee ist für den Terror in Osttimor mitverantwortlich ■ Von Jutta Lietsch

Jakarta (taz) – Indonesiens früherer Armeechef General Wiranto und andere hohe Armeeoffiziere sind – zumindest „moralisch“ – mitverantwortlich für die brutale Zerstörung Osttimors vor und nach dem Unabhängigkeitsreferendum im vergangenen Jahr. Was die Militärs in Jakarta bislang heftig bestritten, bestätigen gleich zwei Untersuchungkommissionen über die Menschenrechtsverletzungen in der ehemaligen portugiesischen Kolonie, in der bis heute immer neue Gräber gefunden und noch zehntausende Menschen vermisst werden: Soldaten und Polizisten beteiligten sich, als proindonesische Milizen mordeten, plünderten und ganze Dörfer in Schutt und Asche legten.

Obwohl die UNO, die das Referendum am 30. August vergangenen Jahres organisierte, der Bevölkerung versprochen hatte, sie könne frei und ohne Angst entscheiden, schaute die Welt untätig zu, als ein Viertel der Bevölkerung, rund 230.000 Menschen, vertrieben wurde. Der von der UNO in Auftrag gegebene Bericht, der gestern in New York übergeben wurde, empfiehlt, ein internationales Menschenrechtstribunal einzurichten. Aber die Chancen dafür stehen schlecht: Denn ein solches Verfahren müsste vom UN-Sicherheitsrat beschlossen werden, der dazu bislang nur in zwei Fällen – Ruanda und Ex-Jugoslawien – bereit war. Zur Enttäuschung vieler Osttimoresen hat UN-Generalsekretär Kofi Annan dem obersten Gremium der UNO jetzt keine Empfehlung für ein Tribunal gegeben.

Der Grund: Mitgliedsländer wie China oder die USA befürchten, dass es zu innenpolitischen Unruhen in Indonesien kommt, falls die Militärs vor ein internationales Gericht gestellt würden. Solche Unruhen könnten die gesamte Region erschüttern. Nur mit Mühe hält der neue Präsident Abdurrahman Wahid die mächtige Armee im Zaum. Wahid gilt derzeit als einziger Politiker, der es schaffen könnte, einen relativ friedlichen Übergang zur Demokratie zu erreichen.

Er hat in den letzten Wochen begonnen, den einflussreichen General Wiranto und seine Anhänger im Militär auf ein Nebengleis zu schieben. Der frühere Verteidigungsminister Wiranto ist derzeit Minister für Politik und Sicherheit. Erst vor wenigen Tagen unterzeichnete der Präsident eine Anweisung, nach der alle Regierungsmitglieder aus der Armee ausscheiden müssen. Das ist eine dramatische Veränderung: Unter dem erst im Mai 1998 zum Rücktritt gezwungenen Diktator Suharto dominierten Offiziere viele Bereiche in Politik und Wirtschaft. Erst vor wenigen Tagen war Indonesiens Außenminister Alwi Shihab nach New York gereist, um die UNO zu beknien, sich zurückzuhalten und das Ergebnis einer nationalen indonesischen Menschenrechtskommission abzuwarten. Die Regierung versprach, mutmaßliche Verbrecher unter Offizieren und Zivilisten vor ein nationales Gericht zu stellen.

Das indonesische Untersuchungsteam, dem anerkannte Bürgerrechtler wie der Chef der „Kommission für Opfer der Gewalt und verschwundene Personen (Kontras), Munir, angehören, befragte in den letzten drei Monaten hunderte Zeugen. Ihr 2.000 Seiten umfassender Bericht kommt zu einem ähnlichen Ergebnis wie sein UN-Gegenpart: Die indonesische Armeeführung habe die systematische Einschüchterung und Zerstörung in Osttimor zumindestens toleriert. Proindonesische Milizen hatten Waffen, Training und finanzielle Unterstützung erhalten. Die Kommission fordert die Einrichtung eines Gerichts.

Ob es aber je dazu kommt, ist unsicher. Der Entwurf eines Menschenrechtsgesetzes liegt derzeit dem Parlament vor. Die Armee beharrt darauf, dass ein Menschenrechtsgericht in Indonesien nur über Verbrechen richtet, die nach seiner Gründung verübt werden. Damit dürfte es weder über die Gräuel in Osttimor noch in anderen Regionen des Landes verhandeln – für Osttimoresen und viele Indonesier völlig unakzeptabel.

Ein zweites Problem: Der Entwurf sieht keinen Zeugenschutz vor. Doch viele ehemalige Milizionäre, Soldaten oder Gewaltopfer werden nur aussagen, wenn sie keine Rache befürchten müssen. Die UNO-Mitarbeiter in Dili hatten der indonesischen Untersuchungskommission in den letzten Wochen den Zugang zu vielen Dokumenten verweigert, weil sie keine Garantie für die Sicherheit der Zeugen bekommen konnten.

Aber: „Die Dokumente, die wir haben, zeigen, dass die Armee wusste, was geschehen würde“, sagte Kommissionsmitglied H.S. Dillon vor der Veröffentlichung des Reports. „Wir haben mit unserer Untersuchung etwas in Gang gesetzt, das nicht mehr rückgängig zu machen ist. Für uns geht es um Wahrheit, Gerechtigkeit und Frieden. Irgendjemand muss verantwortlich gemacht werden.“

Auch Anicetto Guteres, Chef der osttimoresischen Menschenrechtsstiftung Yayasan Hak, der die Angriffe von Milizen im vergangenen Sommer nur mit Glück überlebte, macht General Wiranto verantwortlich: „Wenn das, was hier von Januar bis September geschehen ist, ohne sein Wissen geschah, dann würde das bedeuten, dass alle diese Soldaten nicht mehr seinem Befehl gefolgt wären, das 20.000 von seiner Armee desertiert gewesen wären.“ Als weitere Hauptverantwortliche gelten der damals für Timor zuständige Regionalkommandeur, Adam Damiri, Dilis früherer Armeechef, Tono Suratnam, sowie der ehemalige militärische Geheimdienstchef Zacky Anwar Makarim.

Die beschuldigten Offiziere, die ein großes Team von Rechtsanwälten angeheuert haben, lehnen jede Verantwortung ab. Sie erklärten inzwischen, an der Gewalt hätten sich nur einige „überemotionale“ Soldaten beteiligt, doch dies sei keineswegs vom Militär organisiert worden: „Häuser und Läden in Dili und anderen Städten wurden von Unbekannten niedergebrannt, ohne Genehmigung der Sicherheitskräfte“, heißt es in einem Bericht der Verteidiger.