Glücklich verrückt

Franziska Steiof inszeniert Theodore I. Rubins „David und Lisa“ am Grips-Theater

Am Anfang steht der „authentische Fall“: zwei junge Menschen und ihre gestörten Beziehungen. Zu sich selbst, zu den Eltern, zu Umwelt und Gesellschaft. „David und Lisa“ erleben ihre Beziehungsgeschichte in einer psychiatrischen Klinik. Der amerikanische Psychoanalytiker Theodore I. Rubin hat aus ihr einen Roman gemacht, Frank Perry verfilmte den Roman 1962, und James Reach benutzte Film und Roman als Vorlage für sein bereits 1985 in Essen erstmals in Deutschland aufgeführtes Theaterstück. Am Ende dieser Produktionskette stehen Regisseurin Franziska Steiof und Dramaturg Stefan Fischer-Fels, und ihre nach vielen Recherchen aktualisierte Version von „David und Lisa“ für Menschen ab 14 wirkt wie ein frisches kleines Theaterwunder.

Irgendwie wissen wir es und haben uns damit arrangiert: Die ganze Welt ist eine Klapsmühle. Dass und wie Kinder mit sich in dieser von Erwachsenen eingerichteten Welt Probleme haben, untersucht das Grips spielerisch in jedem seiner Stücke. „David und Lisa“ geht einen kühnen Schritt weiter: Hier ist alles gestört, eben „normalverrückt“. Wir sehen Jugendliche, die aus der Welt aussteigen, bevor sie überhaupt ihren Platz in ihr gefunden haben.

„David und Lisa“ ist ein ganz normales Stück über Menschen, über deren Ängste und Hoffnungen, deren Glück und Trauer. Aber es ist noch mehr, denn es handelt auch von Psychosen und Neurosen. Der steife David (Frank Engelhardt), der sich von niemand berühren lässt, wird von seiner ehrgeizigen Mutter (schick spießig: Christine Heinze) in die Klinik gebracht. Schon mit zwei konnte David lesen, nun kennt er die gesamte Fachliteratur und bombardiert mit seinen Kenntnissen vorwurfsvoll den Psychiater, der allerdings vom Fachchinesisch gar nichts hält. Lisa dagegen hüpft unter dem Schutz des zwanghaften Reimens auf der angsterfüllten Suche nach Zuneigung durch ihr Leben und die Klinik. Angret Holicki macht das mit solch strahlend-verschämtem Charme und zeigt dabei die sensible Verletzlichkeit der Lisa mit solch körpersprachlich einfacher Virtuosität, dass der steife David sich von Lisa erst emotional und zuletzt auch körperlich berühren lässt. Nicht weniger berückend als diese beiden ist das Therapeutenpaar, das an ganz eigenen Beziehungsstörungen zu arbeiten hat und von Christian Veit und Jörg Westphal mit kabarettistischer Trockenheit und witzigen Sprachspielereien gegeben wird.

Stück und Inszenierung zeigen lebendige Menschen statt detaillierter Krankengeschichten. Grips bietet dabei wunderbares Schauspieltheater. Obwohl alles ver-rückt ist, scheint zugleich alles ganz klar. Das Stück ist verwirrend überschaubar. Es wird nicht geprägt von Härte, sondern von Hoffnung. Es ist ein realistisches Stück, das mit Zuversicht im offenen Schluss endet. Wer das als Märchen missversteht, der sollte „David und Lisa“ mal genauer mit Lars Noréns Schaubühnen-Märchen vergleichen.

Franziska Steiof, wohl die derzeit bekannteste deutsche Jugendtheaterregisseurin, hat in ihrer ersten Regiearbeit am Grips die Darsteller zu einer musikalischen Leichtigkeit und Klarheit des Spiels gebracht, die dem so genannten Grips-Stil eine neue Dimension zufügt. Worauf wir im neuen Jahrtausend in Berlin bisher eher vergeblich gewartet haben, bietet uns das Grips: Großstadt- und Gegenwartstheater als Theaterkunst. Hartmut Krug

Läuft noch am 19. 2 ab 19.30 Uhr, am 21. 2, ab 18 Uhr, am 22. 2. ab 22 Uhr, Grips-Theater, Altonaer Str. 22, 10557 Berlin