Nicht das Tor ist gefährlich!

Die Demonstration von Neonazis am Brandenburger Tor dient dem Innensenator nur als Vorwand, das Demonstrationsrecht einzuschränken

Der Jude Gad Beck möchte am Liebsten die Knarre nehmen und deutsches Blut am Brandenburger Tor vergießen. Eine starke Symbolkraft hätte das in der Tat.

Und genau um Symbolkraft geht es. Nationalsozialisten marschieren durchs Brandenburger Tor – wie um den 67. Jahrestag der Machtergreifung zu feiern. Die Symbolkraft ist ihr Sieg.

Ganz gezielt rufen die Rechtsextremen Bilder einer anderen Zeit in Erinnerung, den Fackelmarsch der SA am 30. Januar 1933. Der Fackelzug am Tag der Machtergreifung Hitlers sollte den Herrschaftsanspruch der nationalsozialistischen Bewegung und die deutsche Stärke demonstrieren: Das Brandenburger Tor als Symbol für den Sieg des Herrenmenschen.

Kann man ein solches Symbol verbieten? Die Befürworter eines Verbotes von rechtsextremen Demonstrationen am Brandenburger Tor haben gute Argumente. Keine Herrenmenschen am Brandenburger Tor!

Doch die Verfassung, die das Grundrecht auf Meinungsfreiheit garantiert, ist mit Bedacht aus den Erfahrungen in Zeiten der NS-Herrschaft gestaltet worden. Auch Neonazis sollten deshalb nicht der Vorwand sein, die Grundrechte in Frage zu stellen. Ohnehin dient die Demonstration in Berlin einigen konservativen Kräften als Vorwand, eine Debatte über das Demonstrationsrecht zu befördern. Für den CDU-Innensenator Werthebach war die Nazi-Demonstration schon fast ein willkommener Anlass, die Demonstrationsfreiheit erneut in Frage zu stellen. Instrumentalisierung am falschen Thema.

Nationalsozialisten am Brandenburger Tor, seien es auch Hunderte – zumal unter Polizeibewachung – sind an sich keine Gefahr. Sie haben eine emotionale Wirkung, darin liegt ihre Bedeutung.

Wie anders sähe es aus, wenn die GegnerInnen der Neonazis den Ort für sich eroberten: Antifaschisten vom Reichstag bis zum Potsdamer Platz und dazwischen in einem Polizeikordon ein paar jämmerliche Nazi-Bomberjackenträger. Und zwar – und dafür muss die Polizei eben sorgen – in Jacken ohne SS-Runen, 88-Abzeichen (88 als Code für „Heil Hitler“), sonstige Nazi-Abzeichen und ohne rechtsextreme Sprechchöre. Schon wäre es aus mit dem deutschen Herrenmenschentum.

Neonazis verstehen sich auf’s Beste auf die Politik der symbolischen Formen. Es wäre falsch, unter den schwarzen Jacken und kahlen Köpfen nur dumpfe Schläger aus Brandenburg oder Schleswig-Holstein zu vermuten. Schlauere Köpfe sammeln den gemeinen Neonazi, versorgen ihn mit Argumenten und versorgen ihn insbesondere mit Emotionen. Wie etwa einem ungestörten Durchmarsch durch das Brandenburger Tor. Ein Erlebnis, das zusammenschweißt. Die schlaueren Köpfe versorgen auch die Republik mit Emotionen: mit Schreckensbildern und dem symbolisierten Herrschaftsanspruch. Diesen Anspruch sollte man ihnen verwehren. Ohne ein Verbot von Demonstrationen an bestimmten Orten, aber durch striktes polizeiliches Eingreifen und zivile Wehrhaftigkeit.

Statt eines Symbols, das alte Schrecken wieder wach werden lässt, muss das Brandenburger Tor ein Symbol der Gegenwehr sein. Denn was sind dort schon ein paar Hundert Neonazis? Erst recht inmitten einer großen Menge von Antifaschisten. Eine Assoziation an das tausendjährige Reich dürfte dann nur schwerlich entstehen. Entkleidet seiner symbolischen Bedeutung, verliert eine solche Demonstration für die Rechtsextremen ihren symbolischen Wert.

Der Blick würde frei für die eigentliche Gefahr, die von den Rechtsextremen ausgeht. Und für die Verantwortung, die jeder einzelne im Alltag trägt. Die liegt an mecklenburgischen Seen, in Orten wie Guben, wo Rechtsextreme Hetzjagden veranstalten können, in Wahlkampagnen rechtsextremer Parteien sowie im Internet. Die Gefahr lauert nicht am Brandenburger Tor. Barbara Junge