Trauma unter der Lupe

■ Tuchfühlung mit der traurigen Kriminalerin: „Mädchenhandel – Das schmutzige Geschäft mit der Lust“ (20.15 Uhr, RTL)

Neugierig erforscht die Kamera jede Hautunebenheit des Gesichts, so was kommt nicht oft vor im deutschen Privatfernsehen. Über die darstellerischen Qualitäten von Barbara Rudnik lässt sich streiten, kaum anzuzweifeln aber ist ihr Sonderstatus im TV-Betrieb.

Sie gehört zu den wenigen Schauspielerinnen, die mit den Lebensjahren auch ihr Kapital auf dem Markt der freien Fernseh-Wirtschaft steigern konnte. Und es ist ja wirklich alles andere als ein Kinderspiel, Quote zu machen, wenn Hauptdarstellerinnen über 40 sind – Mamis gewienerte Selbstverwirklichungsfantasien einmal ausgenommen. Für die Rolle der BKA-Psychologin Ingrid Berger in „Mädchenhandel – Das schmutzige Geschäft mit der Lust“ jedenfalls könnte man sich keine Bessere denken.

Eingeführt wird die Heldin, indem sie am Telefon einen neuen Auftrag annimmt, während sie sich via Cunnilungus zum Triebabbau verhelfen lässt. Schon da geht die Kamera auf Tuchfühlung zur schwer atmenden Rudnik, und so bleibt es bis zum Ende dieses Trauma-Thrillers, der die Möglichkeiten des Close-up genüsslich zelebriert. Keine Zigarette und kein Wodka, den die traurige Kriminalerin konsumiert, entkommt so dem Blick des Zuschauers.

Auch als sie auf dem Seziertisch ein Mordopfer inspiziert, zeigen Großaufnahmen die Verstümmelungen der Leiche. Der Tote ist der Exfreund der Ermittlerin, ein Fotograf, der noch an den Realitätswert seiner Arbeit glaubte. In einer Reihe von Flashbacks übernimmt Regisseur Michael Keusch selbst die Rolle des engagierten Knipsers, und diese moralische Zeichenverdichtung kann natürlich nicht ganz aufgehen.

Schließlich geht Keusch ganz dicht ran, um mit den Mitteln des Genres Thrill zu erzeugen. Nicht um die Welt zu verbessern. Trotzdem muss man dem Filmemacher zugute halten, dass er im richtigen Momente den Voyeur im Zuschauer auflaufen lässt. Denn trotz des reißerischen Titels gibt es kein bigottes Bilderpuzzle, das sich an dem weidet, über das es sich zu empören vorgibt.

Um nicht missverstanden zu werden: „Mädchenhandel – Das schmutzige Geschäft mit der Lust“ ist kein soziologisch geerdeter Beitrag zu dem im Titel suggerierten Thema. Der Kindesmissbrauch liefert lediglich die Spiegelfläche für das Trauma der Heldin, die einst ihre eigene Tochter verloren hat. Allerdings wird dieser dramaturgische Knoten mit geschmeidigen Schnitt-Gegenschnitt-Folgen gelöst – das ist schon sehr viel für einen RTL-Schocker, in den normalerweise so viele Redakteure reinsabbeln, bis jegliche narrative Logik den Bach runtergeht. In dieser Produktion, die in ihrem Set-Design routiniert Einflüsse von „Das Schweigen der Lämmer“ bis „Sieben“ vereint, passt ein Baustein auf den anderen. Am Ende erlebt Bergers Kollege, der die ganze Zeit durch die Schwangerschaftsvorbereitung seiner Frau kasperte, wie sein Kind auf die Welt kommt, während die Polizeispsychologin das ihre endlich beerdigen kann.

Und wenn am Ende die unvermeidliche Rose auf den Grabstein gelegt wird, sieht Barbara Rudnik gleich ein paar Jahre jünger aus.

Christian Buß