Mein Mood

Die Indie-Rock-Renegaten Tied + Tickled Trio entdecken den Jazz  ■ Von Felix Klopotek

Indie-Rock wird immer mehr zur diskursfreien Zone. Alle Themen von Ausverkauf bis Cross-over sind diskutiert, alle Neil Young-Artikel geschrieben und selbst der Schweiß Jon Spencers riecht nicht mehr nach Glamour. Klar, dass jeder Poptheoretiker sich ein paar historisch-soziale Paradigmenwechsel zusammensucht und neue diskursive Formationen entdeckt, um den Wandel weg vom Rock und hin zu den schier unendlichen Differenzierungen zwischen Clubkultur und Post-Rock (sic!) zu erklären. Ein löbliches Unterfangen, aber auch ein höllisch kompliziertes: ist das jetzt ein neuer Schritt der Kulturindustrie, ihre immer gleichen Produkte in glitzerndem Gewand neu zu verpacken oder ein subversiver Akt, der den schwanzfixierten Jugendzentrumsrockstar dem DJ opfert?

Vielleicht sollte man sich dem Ausbleichen des Indie-Rocks aber auch auf ganz banale Weise nähern. Irgendwann war es einfach langweilig, das Zeugs zu spielen. Diskurs hin, Poptheorie her – musikalisch gibt das Drei-Akkorde-Schema nicht viel her. Auch eine Band wie Notwist, die ja den Indie-Rock bis zur Perfektion ausgereizt hat, schlägt längst andere, musikalisch komplexere Wege ein. Eine dieser Wege hat zu einer Bandbegründung geführt. Mitte der 90er entstand das Tied + Tickled Trio. Federführend sind hier, wie auch bei Notwist, die Gebrüder Micha und Markus Acher. Schon der Terminus „Trio“ im Namen macht klar, wohin besagter Weg führen soll: Das schmeckt nach Jazz.

Und tatsächlich, das Tied + Tickled Trio tritt an, den Jazz aus den Resten von Indie-Rock und der damit verbundenden Langweile zu erfinden. Nichts leichter als das: sie verdoppeln das Trio zum Doppeltrio und schlagen damit die Brücke zu Altmeister Ornette Coleman, der für seine harmolodischen Prime Time-Bands ebenfalls die Doppelbesetzung bevorzugt. Die zwei Schlagzeuger schichten ihre Grooves polyrhythmisch, was vom Konzept an die frühen Breakbeats Jack DeJohnettes erinnert. Der Saxofonist, auf der CD ist das Johannes Enders, ein authentischer Jazzer und richtig guter young lion, bläst wie der große Coltrane, modal, d.h. er entwickelt seine Soli nicht mehr über starre Akkordprogressionen, sondern bewegt sich frei innerhalb einer Tonskala. Diese Jazzklassizismen verbinden sie mit einer catchyness, wie sie nur der Pop hervorbrachte, und einer Begeisterung, wie sie den Indie- und Undergroundrock zu seiner Hochzeit auszeichnete. Dazu brutzeln und plockern die Electronics einen Swing, dass man meinen könnte, die Gruppe sei der Mojo-Club für Linke.

Problem gelöst: was machen Indierocker, wenn sie älter werden und ihrer musikalischen Formensprache überdrüssig sind? Jazz (s. auch Thurston Moore, Henry Rollins) Aber so leicht ist die Sache nicht. Denn Jazz ist mitnichten die komplexe und anspruchsvolle Musik, für die wir Halbgebildeten sie halten. Pustekuchen.! Nicht umsonst haben großen Komponisten, die wir Jazzer nennen, wie Duke Ellington, Charlie Parker oder Cecil Taylor sich strikt geweigert, mit Jazz in einen Topf geworfen zu werden. Ihre Handschriften sind zu filigran und verschnörkelt, als dass sie von Indie Rock oder Wynton-Marsalis-Konservatorien imitiert werden könnten. Dem Tied + Tickled Trio bliebe also entweder biederes Handwerk (=Barjazz) oder tragikomisches Scheitern. Dass dem nicht so ist, sondern die Musik rockt und swingt und dabei zu ihrer Musik wird, liegt daran, dass sie das Handwerkliche hinter sich lassen. Es ist eben nicht so, dass Punkmüdigkeit und die Lust, jetzt auch mal (vermeintlich) richtige Musik spielen zu wollen, die gealterte Jugend zum Jazz verführen. Es sind dessen Verheißungen: Ekstase, Kollektivität, „Spiritual Unity“, um mit Albert Ayler zu sprechen, die aus den Notwist-Brüdern eine hervorragende Jazz-combo, nein, seien wir korrekt: Improvisationsgruppe machen.

So, 6. Februar, 21 Uhr, Westwerk