Messerscharf ins Braune

Befleckte Ehre: Ein Hamburger „Rock Hard“-Autor widmet sich dem „Phänomen“ der „Neuen Deutschen Härte“  ■ Von Dirk Franke

Bereits Hegel wusste, dass die Eule der Minerva erst am Abend fliegt. Wenn also jetzt das erste Buch über die sogenannte „Neue Deutsche Härte“ erscheint, besteht die Hoffnung, dass jene unselige Mischung aus Marketingmaschine und Teutonentum ihre Dämmerung erreicht hat. Nur leider kann bei dem Buch Letzte Ausfahrt: Germania von der Eule der Minerva absolut nicht gesprochen werden. Denn es ist ein schnödes Rechtfertigung-sheft des in Hamburg ansässigen Richthofen-Managers und Rock Hard-Schreibers Wolf-Rüdiger Mühlmann (s. Interview rechts).

Mühlmann versucht sich an der politischen Debatte, die sich an den Veröffentlichungen von Bands wie Rammstein, Weissglut, oder Witt entfacht hatte. Sich selbst bezeichnet der Autor zwar als eher links-stehend, hat aber in der Hinsicht außer Selbstbezichtigungen nichts zu bieten. Denn eigentlich freut sich auch der im sächsischen Landkreis Aue aufgewachsene Mühlmann über eine nationale deutsche Entwicklungslinie in der Musik – oder, argumentiert im reichlich angestaubten Diskurs der Neuen Rechten: Den Deutschen fehle ein gesundes Verhältnis zur Nation, das durch anglo-amerikanische Umerziehung und dogmatische political correctness unterdrückt werde.

Geradezu gefährlich wird die Argumentation, wenn sich der Manager der Band Richthofen nicht mit indifferenten Muckern, sondern mit echten Überzeugungstätern auseinandersetzt. Josef Maria Klumb, der wegen seiner rechten Umtriebe gefeuerte Ex-Sänger von Weissglut, bekommt in einem längeren Interview noch einmal die Gelegenheit, alle gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu bestätigen.

Angesprochen auf ein früheres Zitat („Zionismus ist Faschismus in Perfektion“) stellt Klumb fest: „Ich habe dies geäußert in damaliger Unwissenheit, was Faschismus eigentlich dem Sinn nach bedeutet. Betrachte ich mir den britischen Faschistenführer Oswald Mosley oder andere europäische Faschistenführer, dann stelle ich fest, dass Rassismus kein Grundelement des Faschismus sein muss. Insofern möchte ich den Faschismus im ideellen Sinne nicht dadurch verunglimpfen, dass ich ihn weiter mit dem Zionismus in Verbindung bringe, dessen nachweislicher Rassismus den Nürnberger Rassegesetzen noch eins draufsetzt.“ Mühlmann folgert daraus haarscharf: Klumb sei ein Mensch mit „Sprach- und Argumentationsgewalt“, dessen Antisemitismus von seinen Gegnern „erst noch zu beweisen“ sei.

Diese Gegner Klumbs sind dann auch das eigentliche Hauptanliegen des Autors. Um genau zu sein, sind es der von „Profilierungssucht“ zum „Manöverjournalismus“ getriebene „Wadenbeißer“ und Sozialwissenschaftler Alfred Schobert, das „Schmierenjournalismus“ betreibende Musikmagazin Persona non Grata, die „linksautonome“ Jungle World oder die, „egal ob es um Babynahrung, Schützenfeste oder deutsche Rockbands geht“, verbissene taz. Zustimmend zitiert er in dem Zusammenhang die Autorin der Jungen Freiheit, Ellen Kositza. Die vermutet hinter Kritik an der NDH „alte Dogmatiker, die sich nicht zurecht- finden in der neuen Zeit“. Dabei geht es den Bands doch nur um ein „normales“ Verhältnis zu Deutschland und um – auch für das abgegriffenste aller Argumente ist Mühlmann sich nicht zu schade – „Provokation“. Weder kommt in dem Buch eine grundsätzliche Kritik an pseudophilosophischer Blut- und-Boden-Lyrik, kombiniert mit schweißtriefenden Männerkörpern, vor, noch erweckt der Autor den Eindruck, als würde er eine solche Kritik überhaupt verstehen.

Ebenfalls enthalten ist ein längeres Interview mit Ulf Poschardt, Chefredakteur des Magazins der Süddeutschen Zeitung und prononciertem Rammstein-Kritiker. Mühlmann stellt angesichts der Rammstein-Ästhetik und insbesondere des rollenden „Rrrr“ fest: „In Osteuropa sprechen 200 Millionen Menschen diesen Buchstaben rollend aus.“ Basiert also die Ästhetikschelte für Rammstein „nur auf dem oberflächlichen Klischee alt gewordener Oberschüler, die sensationsgeile Stories abliefern müssen“? Die Antworten Poschardts sind übrigens tatsächlich lesenswert. Es handelt sich um immerhin zwei von knapp dreihundert Seiten.

Wolf-Rüdiger Mühlmann, Letzte Ausfahrt: Germania – Ein Phänomen namens Neue Deutsche Härte, I.P Verlag, 288 Seiten, 34,90 Mark