Der Neid der Götter

■ Spektakulär-unspektakulär inszenierte die Cosmos Factory im Übersee-Museum ein „Live-Hör-Spiel“ nach Texten des lateinamerikanischen Autors Eduardo Galeano

Wer den Bindestrich nicht ehrt, ist des Rezensierens eigentlich nicht wert. Ein „Live-Hör-Spiel“ stellte die Cosmos Factory Theaterproduktion in Aussicht. Doch wer da vorschnell „Hörspiel“ las und folglich erwartete, im Übersee-Museum Menschen bei der Herstellung von Hufgetrappel mittels Kokosnusshälften zusehen zu können, wurde bitter enttäuscht. Keine Kokosnüsse weit und breit zu sehen auf der Bühne. Stattdessen nahmen ebendort ein dünner Herr mit Buch und ein weniger dünner Herr mit ansehnlichem Instrumentenpark Platz. Der dünne Herr las. Der weniger dünne entlockte seinem ansehnlichen Instrumentenpark zeitgleich derlei viel Geräusche, dass auch der anfängliche Eindruck einer traditionellen Lesung mit Musikbegleitung nicht so recht passen wollte zum sicht- und hörbaren Geschehen.

Geben wir es also auf, eine passende Bezeichnung zu finden und nennen es einfach „Live-Hör-Spiel“, was Oliver Peuker – der Dünne – und Hans Christian Klüver – der weniger Dünne – den PremierenbesucherInnen boten. Wer in der Vergangenheit das Junge Theater nicht sträflich ignoriert hat, wird die beiden Herren bereits aus anderen Zusammenhängen kennen. In der Oliver-Sacks-Adaption „mann.frau.hut.de“ und vor allem in der hervorragenden Inszenierung „Leviathan/Der Auftrag“ brillierte Peuker als Schauspieler, während Klüver bei zahlreichen Stücken des Jungen Theaters für die Musik sorgte und bei der Band „Feine Herren“ mitmischt. Unter der Regie von Ute Falkenstein – auch sie mit einer Junges-Theater-Vergangenheit – widmete sich das Duo in ihrem Live-Hör-Spiel den Texten Eduardo Galeanos.

Einem breitem Publikum ist der 1940 in Uruguay geborene Schriftsteller vertraut als Autor der legendären Studie „Die offenen Adern Lateinamerikas“, in der er Anfang der 70er Jahre mit der imperialistischen Einflussnahme der USA und Europa in Lateinamerika abrechnete. Aber nicht nur als Historiker, auch als Essayist genießt Galeano einen glänzenden Ruf. Acht Kurzgeschichten aus seinem 1997 erschienenen Buch „Wandelnde Worte“ haben sich Peuker/Klüver angenommen. Acht Geschichten, in denen es von eigenartigen Wesen mit eigenartigen Wünschen in nicht minder eigenartigen Konstellationen nur so wimmelte.

Erzengel, die in Bordellen auf den verführerischen Geschmack des Lebens kommen und sich besaufen, um der gähnenden Langeweile des göttlichen Paradieses zu entkommen, treffen darin auf Machos mit ungezügeltem Gebärneid. Kopflose Reiter irren umher, das Spalten eines Schamhaars bereitet Probleme, ein Delphin verliebt sich in eine Frau und verreckt, weil er vergisst, sich rechtzeitig wieder ins Wasser zu flüchten.

Galeanos Geschichten sind verspielt, mystisch, zärtlich und absurd, entwerfen einen Mikrokosmos aus Anstand, Tradition, Religion und den tausend kleinen Wegen, inmitten eines solchen Atemnot verursachenden Geflechts ein erfülltes Leben führen zu können. Kein Gott bleibt bei Galeano unbeleidigt, keine menschliche Schwäche unbenannt. Und wo er nur kann, feiert er das erbärmliche irdische Dasein als großartiges Wunder, um das der Mensch selbst vom himmlischen Hofstaat beneidet wird.

All das bedarf, damit es in seiner bizarren Liebenswürdigkeit goutiert werden kann, eines begnadeten Vorlesers. Oliver Peuker erfüllt diesen Anspruch mit Bravour. Mit einem feinen Gespür für die Hinter- und Abgründigkeit der Geschichten flüstert, schmeichelt und schreit er sich durch Galeanos Phantasien, lässt die Ironie zwischen den Zeilen funkeln und kann dabei jederzeit auf seine einnehmende und variantenreiche Stimme vertrauen. Hans Christian Klüver hingegen interpretiert Galeanos Geschichten mit Hi-Hat, Klarinette, Gitarre oder Nasenflöte auf seine ganz eigene Art, changiert zwischen Westernmelodien und Klangcollagen, ohne dabei die eigentümliche Atmosphäre der Galeano'schen Skurrilitäten aus den Augen zu verlieren. So entstehen in diesem Hör-Spiel Galeanos literarische Welten in zweifacher Weise: Als Text und als Musik, verbunden durch die ähnliche Klangfärbung, die Wort und Ton auszeichnet.

Das alles war nicht spektakulär, sondern ruhig, nicht bombastisch, sondern in großer Gelassenheit darauf vertrauend, dass eine angenehme Stimme, ein sensibler Musiker und acht skurrile Texte genügen, um Menschen einen schönen, stillen Abend zu bereiten.

Franco Zotta

Das vom Instituto Cervantes präsentierte Live-Hör-Spiel ist am 5. Februar um 20.30 Uhr im Bürgerhaus Weserterrassen zu hören