„Gnadenloser Opportunismus“

■ Rechtspopulisten wie Jörg Haider ist inhaltlich nicht beizukommen. Der Konfliktforscher Wilhelm Heitmeyer fordert eine Auseinandersetzung über Mechanismen und Wirkungsweisen ihrer Politik

Rechtspopulist ist ein neues Schlagwort, wie erfunden für Jörg Haider, Chef der Freiheitlichen Partei Österreichs. Journalisten debattieren über den verantwortungsbewussten Umgang mit dem charismatischen Rechtsaußen: Eine Plattform soll ihm nicht geboten werden, dennoch ist er in den Medien omnipräsent. Bei „Sabine Christiansen“ wurde Haider erst ein-, dann wegen öffentlich Proteste und Absagen anderer Teilnehmer wieder ausgeladen.

Ein Gespräch mit dem Bielefelder Konfiktforscher und Rechtsextremismusexperten Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer über Rechtspopulismus, Quotendruck und die Rolle der Medien.

taz: Die Medien haben durch die Debatte einen neuen Lieblingsbegriff: Rechtspopulismus. Doch jeder scheint damit etwas anderes zu meinen.

Heitmeyer: Man muss noch einmal dringend auf den Charakter von Populismus eingehen, weil der Begriff herumgeistert, aber nicht klar wird, worum es sich eigentlich handelt.

Das Aufkommen von Rechtspopulismus ist die Folge des Verlustes von politischen Konzeptionen, von politischen Zukunftsentwürfen. Rechtspopulismus markiert auch einen Wechsel von Politikinhalten zu einem Politikstil, und dieser Politikstil gründet sich auf einen grenzenlosen Opportunismus und auf eine spezifische Beliebigkeit. Populismus zeichnet sich ja da durch aus, dass er in sich inkonsistent ist. Das ist quasi sein Markenzeichen.

Darf man unter diesen Bedingungen einen Jörg Haider in eine Fernsehtalkshow einladen?

Populismus braucht Öffentlichkeit. Und die Sorge ist klar: Haider ist sehr öffentlichkeitswirksam. Manche sagen, deshalb sollte man ihm keine Plattform bieten. Aber das ist eine sehr verkürzte Sichtweise. Denn wer öffentlichkeitswirksam ist, der hat ja die Probe schon hinter sich, der findet auch immer entsprechende Plattformen. Hier kommt ja auch die Medienkonkurrenz ins Spiel. Das heißt aber auch: Die Medien als Mittel zur Sicherung von Demokratie können durch den Marktmechanismus ausgehebelt werden. Besonders problematisch wird es, wenn Sendungen mit charismatischen Personen wie Haider Quote machen wollen.

Michel Friedman vom Zentralrat der Juden in Deutschland plädiert für den Versuch, Haider zu isolieren ...

Hier stimme ich überhaupt nicht überein: Politisch und institutionell kann man möglicherweise isolieren, medial geht das inszwischen überhaupt nicht mehr. Im Zweifelsfall gründen diese Personen einfach einen eigenen Kanal. Außerdem, und das merken wir gerade in Österreich, entstehen bei diesen Isolierungsversuchen Binnensolidarisierungen – sogar von Menschen, die eigentlich mit Haider und Konsorten nichts zu tun haben.

Wie können Medien dann verantwortungsvoll mit diesem Dilemma umgehen?

Es gibt keine Alternative zur realistischen Auseinandersetzung

Also eine Widerlegung der Inhalte, der Politik Haiders?

Nein. Es hat keinen Sinn, eine Auseinandersetzung mit den inhaltlichen Poistionen zu versuchen. Das ist so gut wie zwecklos, weil Leute wie Haider in einem Satz etwas behaupten, um es im nächsten wieder zu verwerfen – gnadenlos und rücksichtlos dementiert er sich selbst, sobald es ihm nutzt. Man schafft eine solche Auseinandersetzung nicht, man hechelt nur Haiders inhaltlichen Positionen hinterher.

Was bleibt dann als journalistische Alternative?

Man muss den Charakter von Populismus, also diesen gnadenlosen Opportunismus und diese Rücksichtlosigkeit darstellen und thematisieren. Das ist das zentrale Thema. Ansonsten hat man keine Chance. Im Populismus zählt keine rationale Konsistenz oder Widerspruchsfreiheit. Es geht ja gar nicht um Inhalte, die sind fast beliebig, es geht um den Stil.

Unterscheidet sich denn der Politikstil Haiders so sehr von dem hierzulande?

Nicht direkt, und damit komnmt gleich ein Problem dazu: Wenn sich Opportunismus als Normalstandard durchsetzt, also z. B. bei den Führungsschichten der Union innerhalb des Systems Kohl, oder wenn Opportunismus in einer Gesellschaft als besonders cleveres Verhalten gilt, um sich durchzusetzen, dann muss man sich nicht wundern, dass dieser Populismus sehr stark um sich greifen kann.

Das heißt, das Wie ist wichtiger als das Was?

Man hat gar keine Alternative, als immer wieder auf den Mechanismus, der dahinterliegt, hinzuweisen. Man muss den Populismus zum Thema machen, und dann kann auch Haider oder wer auch immer mit in der Runde sitzen. Dabei müssen dann aber auch Leute sein, die sich nicht blenden lassen. Ob man das nun in Talkshows schafft, bleibt die Frage. Es kommt sehr darauf an, dass das Thema auch entsprechend zugeschnitten ist: Es muss um Populismus gehen, nicht um Haider und seine inhaltlichen Positionen, auch wenn die schon erschreckend und zum Teil auch Menschen verachtend sind. Interview: Steffen Grimberg