AKW-Gegner lehnen heutiges Atomkonsensgespräch ab: Keine Friedenspflicht mit den Grünen
Das heutige vierte Konsensgespräch zwischen der Strombranche und der Bundesregierung folgt einer klaren Regie: Gerhard Schröder höchstpersönlich verhandelt heute in Bonn, das Kabinett muss draußen bleiben – wie die Atomkraftgegner, die am Verhandlungsort protestieren werden. 30 Jahre Laufzeit wird Rot-Grün der Branche andienen, sonst – so die „Drohung“ – käme der Atomausstieg im Dissens.
Die Konzernvertreter werden sicher noch draufsatteln, 35 bis 40 Jahre Laufzeit mögen sie fordern. Wie wäre es, wenn man sie beim Wort nähme? Wenn man sie zwänge, auch wirklich jedes Kraftwerk die vollen 40 Jahre am Laufen zu halten? Dann fände der Konsenspoker ein rasches Ende, denn die erforderliche Nachrüstung der AKWs würde die Stromwirtschaft wirtschaftlich in die Knie zwingen.
Am Anfang war das Wort: Deutlich unter 30 Jahre hatten die Grünen im vergangenen Jahr lauthals gefordert und vorgerechnet, dass eine Befristung des Reaktorbetriebs auf 25 Jahre verfassungskonform sei. Doch gemessen wird die Politik an der Tat. Bleibt es bei der Formel 30 plus 3 Jahre Übergangszeit, wird in dieser Legislaturperiode kein einziger Reaktor stillgelegt. Stattdessen haben die AKW-Betreiber für 13 Kraftwerke Zwischenlager beantragt, selbst für Meiler, die auf der Abschussliste ganz oben rangieren, wie Biblis A, Stade und Brunsbüttel. Der Entsorgungsnachweis kann geführt werden, und die lästigen, Publicity-feindlichen Castortransporte entfallen.
Um nicht völlig nackt dazustehen, werden die Grünen ihren Wählern und Mitgliedern den Dauerbetrieb der Meiler als Ausstieg verkaufen müssen. Sie sind daher auf einen Deal mit den Atomikern angewiesen: Einige Vorzeige-AKWs gehen vom Netz, um den Ausstiegswillen zu dokumentieren, wenn schon die Taten fehlen. Wie wäre es mit Mülheim-Kärlich, das gerichtsbedingt seit Jahren stillsteht, aber fleißig von den Konzernen als Nummer 20 mitgezählt wird? Zudem gibt es das Angebot an die Unternehmen, ihnen statt fester Meiler-Restlaufzeiten eine zu produzierende Atomstrommenge von 2.500 Terrawattstunden zuzugestehen. Im Gegenzug würden unrentable AKWs wie Obrigheim, Stade, Biblis A oder Brunsbüttel abgeschaltet. Umgerechnet entspricht diese Produktionsleistung einer Gesamtlaufzeit von 32,5 Jahren bei einer 85-prozentigen Verfügbarkeit. Das jüngste AKW, Neckarwestheim 2, würde demnach im Jahr 2021 abgeschaltet.
Die unausgesprochene Friedenspflicht gegenüber der Branche, um einen Konsens unter Dach und Fach zu bringen, lässt sich aktuell auch an der Debatte um die Castorbehälter ablesen. Da gibt es – neben dem alten Kontaminationsskandal – Restfeuchte im Deckelbereich, Korrosion sowie falsche Berechnungen des Ausdehnungsverhaltens von Moderatorstäben, die die Neutronenstrahlung bremsen sollen. Und es gibt den Skandal, dass Castoren ohne Falltests für den Transport genehmigt wurden. Dennoch gibt das Bundesamt für Strahlenschutz unter seinem grünen Präsidenten Wolfram König grünes Licht für neue Castortransporte. Gerade rechtzeitig, um atmosphärisch den Weg für die Konsensrunde von heute freizumachen. Es solle keine Verstopfung der AKWs, keine Stilllegung auf „kaltem Wege“ geben, hatte Trittin jüngst beteuert – und hielt jetzt mit der Aufhebung des Transportstopps sein Wort. Zuerst wird der Castorzug aus der französischen WAA La Hague nach Gorleben rollen. Vielleicht sogar noch Ende März oder im April, rechtzeitig vor der Expo 2000 in Hannover, damit genügend Polizisten abgestellt werden können. Dann, nach den Wahlen in Nordrhein-Westfalen, ist wieder Ahaus dran.
Massenhaft werden wir auf die Straße gehen und uns quer stellen, um die Debatte um das Risiko Atomkraft und das Atommülldesaster anzufachen. Für uns gibt es keine Friedenspflicht, auch nicht mit den Grünen. Spätestens wenn der Polizeiknüppel saust, um der nuklearen Fracht den Weg nach Ahaus oder Gorleben zu bahnen, zerplatzen die Sprechblasen, wird das Image der Grünen als Ausstiegspartei konterkariert. Der Vorhang ist noch lange nicht gefallen. Wolfgang Ehmke
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