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Das Ziel lautet: „Keiner kommt durch“

Die Ost-Erweiterung der EU verlangt von den zukünftigen Grenzwächtern vor allem eins: Abwehr jeder illegalen Einwanderung. Die innere Sicherheit à la EU kostet die Kandidaten viel Geld ■ Aus Brüssel Daniela Weingärtner

Als Innenminister Otto Schily vergangenen Monat im brandenburgischen Fliegerhorst Blumberg dem Bundesgrenzschutz neue Hubschrauber übergab, rechtfertigte er den Stückpreis von elf Millionen Mark damit, dass Innere Sicherheit eben nicht zum Nulltarif zu bekommen sei. Die dreizehn Maschinen ermöglichten eine bessere Überwachung der Grenzen zu Polen und Tschechien, so der Minister. Sie seien mit ihren Infrarot-Scheinwerfern nicht nur besser für die Verbrechensbekämpfung geeignet, sondern auch umweltverträglicher und leiser als ihre Vorgänger.

In ein paar Jahren, wenn Polen und Tschechien die Aufnahmeprüfung in die EU bestanden haben, wird es in Blumberg noch umweltverträglicher und leiser zugehen. Der Kampf gegen Schleuser und illegale Einwanderer wird dann an den neuen Außengrenzen der EU geführt: An Polens Grenze mit Weißrussland und Russland, vielleicht auch schon an der slowakischen Grenze mit der Ukraine.

Die Erfahrung, dass Innere Sicherheit à la EU teuer ist, machen die Kandidatenländer aber schon jetzt. Die „Beitrittspartnerschaften“ zwischen den Kandidaten und der EU, die als Leitfaden für die Verhandlungen im Juni 1999 verabschiedet wurden, lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. So heißt es im Papier für die Volksrepublik Polen unter „kurzfristige Prioritäten“: „Justiz und Inneres: Verabschiedung und Umsetzung einer integrierten behördenübergreifenden Grenzüberwachungsstrategie, unter besonderer Berücksichtigung des Mittelbedarfs für die Überwachung der Ostgrenze.“

Schon vor dem Beitritt soll Polen eine Filterfunktion übernehmen. An der polnisch-deutschen Grenze, so das Kalkül, kommt dann nur noch ein ausgedünnter Flüchtlingsstrom an. Investiert das Kandidatenland die nötigen Mittel nicht, gibt es keine EU-Beihilfen aus den Beitrittsfonds. Die Botschaft ist angekommen: Derzeit werden die Grenzanlagen an der künftig längsten EU-Außengrenze nach Osten mit verbesserter Technik ausgestattet.

Die „mittelfristigen Prioritäten“ der Rahmenvereinbarung mit Polen, die bis etwa 2003 umgesetzt sein müssen, verlangen eine „weitere Stärkung der Vollzugsbehörden und der Justiz – vor allem in Bezug auf Grenzkontrolle und illegale Einwanderung –, um eine volle Teilnahme am Schengener Informationssystem zu ermöglichen“ sowie „weitere fortschreitende Angleichung der Visagesetzgebung und -Praxis mit der EU, Angleichung der Rechtsvorschriften zwecks Anwendung des asyl- und einwanderungsrechtlichen Besitzstandes“. Auf gut Deutsch: Der schwarze Peter wandert weiter nach Osten. Schon jetzt verhandelt Polen mit den Nachbarländern über Rückführungsabkommen. Eine entsprechende Vereinbarung mit der Ukraine ist abgeschlossen. Polen soll auch mit Russland zu einer Einigung kommen, die das Nachbarland verpflichtet, illegal von dort eingereiste Flüchtlinge zurückzunehmen.

Kritiker wie die grüne EU-Abgeordnete Elisabeth Schroedter weisen darauf hin, dass die Kosten für die Verteidigung der Festung Europa in vielen Fällen die Fördermittel auffressen, die die EU für den Beitrittsprozess bereitstellt. In Lettland zum Beispiel werde nur ein einziges Projekt gefördert: die Verbesserung der Kontrolle an der Ostgrenze.

Mit dem Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrags im Mai 99 sind auch Kompetenzen der so genannten „Dritten Säule“, Justiz und Innenpolitik, auf die europäische Ebene verlagert worden. Seither kann die Gemeinschaft Rückführungsabkommen mit Drittstaaten abschließen, ohne dass die nationalen Parlamente zustimmen müssen. Das haben die Staatschefs der Union am 3. Dezember auch getan. Rückführungsabkommen werden jetzt routinemäßig in Verträge mit Drittstaaten aufgenommen. Wer mit der EU zum Beispiel einen Handelsvertrag abschließt, muss sich gleichzeitig verpflichten, aus seinem Staatsgebiet illegal in die EU eingereiste Menschen zurückzunehmen – ganz egal, ob es eigene Staatsbürger, Drittstaatler oder Staatenlose sind.

Das Europäische Parlament, das zu dieser Entscheidung nicht gehört worden ist, hat in einer Anfrage zu klären versucht, ob in Zukunft alle Handelspartner der EU zu sicheren Drittstaaten erklärt werden oder ob die EU beabsichtigt, nur noch mit sicheren Drittstaaten Handel zu treiben, ob also der Ratsbeschluss mit der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 in Einklang steht. Schon 1998, unter österreichischer Präsidentschaft, hatten die Staatschefs der Union in einem Strategiepapier von einer flüchtlingsfreien Schengen-Kernzone geträumt, die mit einem abgestuften System von juristischen Schutzwällen zu sichern wäre. Den „Neuen“ würde ein ausgeklügeltes System von Rückführungsabkommen in „sichere“ Drittstaaten einen Teil der Arbeit abnehmen.

Der Europäische Flüchtlingsrat ECRE, ein Dachverband von 70 Flüchtlingshilfsorganisationen, hatte damals begrüßt, dass mit diesem Papier die wahre Einstellung der EU zur Flüchtlingsproblematik endlich auf dem Tisch liege. Die Haltung der EU gründe auf der Überzeugung, dass Fluchtgründe in jedem Fall durch finanzielle Zuwendungen für die Herkunftsländer beseitigt werden könnten. Es sei aber eine Illusion zu glauben, dass stets die am wenigsten entwickelten Länder besonders anfällig für Menschenrechtsverletzungen seien. Jugoslawien zum Beispiel sei keineswegs das am wenigsten entwickelte Land der Region gewesen, als die ethnischen Säuberungen begannen. Auf Druck von Menschenrechtsgruppen zog die österreichische Präsidentschaft ihr Strategiepapier zurück. Seither verfolgt die EU ihr Ziel diskreter. Ein Geflecht bilateraler Abkommen soll garantieren, dass künftig über den Statistiken, die illegale Grenzübertritte ins Schengenland registrieren, steht: „Keiner kam durch“.

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