Die ökologistische Kehrseite

Vor zwanzig Jahren konstituierten sich die Grünen. Ökologisches Denken hat seither das öffentliche Bewusstsein über alle Parteigrenzen hinaus tief geprägt. Doch die moderne Ökobewegung ist nicht so grundlegend wertneutral, demokratisch und aufklärerisch, wie sie sich gerne gibt. Viele Vordenker des Naturschutzes verfolgten ihre hypermoralische Mission mit elitärem Gestus. Mehr noch: So mancher Intellektuelle aus der Frühzeit der Umweltbewegung hatte ein gestörtes Verhältnis zur Freiheit. Eine Streitschrift von Michael Miersch

Als es im vorigen Sommer ein paar Wochen lang ziemlich heiß wurde, erklärte das Bundesumweltministerium (BMU), zwar herrsche in Deutschland keine Wasserknappheit, aber man solle vorsorglich so tun als ob. Das BMU empfahl den Bürgern, nicht länger als sechs Minuten zu duschen. Ein Jahr zuvor hatte eine grüne Abgeordnete vorgeschlagen, private Urlaubsreisen in Zukunft zu rationieren. Es lohnt kaum, sich über solchen Unsinn groß zu empören. Schließlich droht in Deutschland keine Ökodiktatur. Dennoch sind die antifreiheitlichen Ausfälle mancher Ökologisten mehr als nur dumme Ausrutscher. Sie sind symptomatisch für eine Ideologie, die durchaus totalitäre Züge trägt.

Ein Blick auf das intellektuelle Begleitpersonal aus der Aufbruchzeit der modernen Umweltbewegung zeigt die geistigen Wurzeln von Dusch- und Urlaubsverboten. Im Gegensatz zu den anderen beiden Totalitarismen des zwanzigsten Jahrhunderts mangelte es dem Ökologismus immer am Zustrom der Massen. Das Volk, „der große Lümmel“ (Heinrich Heine), ahnt, was ihm blühen würde, wenn grüne Ideologen das Sagen hätten. Doch grüne Parteien und Umweltschutzverbände bilden eine geistige Elite, die in vieler Hinsicht den moralischen Diskurs und teilweise auch die politischen Entscheidungen westlicher Gesellschaften prägt. Das Bewusstsein wird so massiv von ökologistischer Irrationalität beherrscht, dass offenbarer Unsinn mehrheitlich brav nachgebetet wird.

So sind die meisten Deutschen davon überzeugt, dass sie kränker und von Schadstoffen belasteter seien als ihre Vorfahren (obwohl ihre Lebenserwartung ständig steigt). Das ausgebliebene Waldsterben wird nicht als Irrtum realisiert, sondern zum chronischen Waldsiechtum umgedeutet. Bei einer bundesweiten Umfrage Ende der Neunzigerjahre behauptete die Mehrheit der Bürger, dass Luft und Wasser in den vergangenen zwanzig Jahren schmutziger geworden wären. Das Gegenteil ist der Fall. Obwohl unter Experten höchst umstritten, wird die Existenz einer menschengemachten Klimakatastrophe allgemein geglaubt und mit jedem Wetterwechsel in Verbindung gebracht.

Der Soziologe Karlheinz Messelken entwarf eine Art Typenlehre der totalitären Ideologen. Die Ökologisten ordnet er darin dem „hypermoralischen Typus“ zu. Dieser Charakter, so Messelken, empfindet ein hohes Maß an Verantwortung für den Lauf der Welt. Die Menschen dürfen keinesfalls sich selbst überlassen werden, denn dies führe mit Sicherheit in den Abgrund. Deshalb komme es darauf an, sie aufzurütteln und ihnen den drohenden Weltuntergang vor Augen zu führen. Das Verantwortungsbewusstsein des grünen Hypermoralisten ist höchst elitär. „Weil er überlegene Einsicht in das kosmische Getriebe zu besitzen glaubt“, so Messelken, „begehrt er Autorität und geistige Führung.“

Idealtypisch für diesen „Totalitarismus in Grün“, den die Autoren Richard Herzinger und Hannes Stein in ihrem Buch „Endzeit-Propheten“ trefflich beschrieben haben, ist die Schriftstellerin und ehemalige Kandidatin der Grünen für das Bundespräsidentenamt Luise Rinser. Ihr großes Idol hieß in den Achtzigerjahren Kim Il Sung (was eine gewisse Lebenskontinuität bezeugt, denn die junge Rinser verfasste Oden auf Adolf Hitler). „Ein halbes Jahrhundert Erziehung des nordkoreanischen Volkes müsste ein international wirksames Beispiel sein“, schrieb Rinser in der Zeitschrift natur und fragte besorgt: „Wie bringt man dem pervertierten Westen eine gesunde Moral bei?“

In den westlichen Parlamenten werde, so Rinser, sehr viel Zeit, Kraft und Volksvermögen vergeudet. Eine Sorge, die auch grüne Philosophen wie Hans Jonas und Wolfgang Harich teilten, die ernsthaft davon überzeugt waren, Umweltprobleme könnten am besten von Diktaturen gelöst werden. Franz Alt verdünnte solches Denken zur fernsehgerechten Lightversion und forderte den „Gegenentwurf zum real existierenden westlichen System“, das „psychisch kränker als frühere Gesellschaften“ sei. Diesen Gegenentwurf könnte sich der Christ Alt etwa in Form einer „ökologischen Weltrevolution“ vorstellen.

Die Tatsache, dass „die Zerstörung von Natur und Umwelt vor allem unter diktatorischen Verhältnissen gedeiht“ (Gunnar Sohn, „Die Ökopharisäer“), konnte dem antiwestlichen Weltbild nichts anhaben. Dabei waren die massivsten ökologischen Zerstörungen schon damals in den Ländern des ehemaligen Ostblocks zu besichtigen. Rinser & Co. stand mit ihren seltsamen Sympathien in den Siebziger- und frühen Achtzigerjahren keinesfalls allein da. Kim Il Sung, Pol Pot, Mao und Stalin waren damals die Idole vieler K-Gruppen-Anhänger, die, wie Jürgen Trittin, heute Führungsposten bei den Grünen bekleiden.

Später liefen den K-Gruppen die Mitglieder weg, und viele Kader fanden ein warmes Plätzchen bei der neuen Partei. Selbstreflektion, die man von den Nazivätern immer eingefordert hatte, fand nie statt. Man tauschte nur ein paar Formeln aus. „Proletariat“ wurde zu „Umwelt“, „Kapitalismus“ zu „Industriegesellschaft“, und schon konnte es munter weiter gehen. „Die neue Partei“, schreibt Götz Warnke in seinem Buch „Die grüne Ideologie“, „ermöglichte den K-Leuten, ihren eigenen Anspruch, etwas besonderes, eine Art Elite zu sein, selbst nach dem Scheitern ihrer Ideologie aufrechtzuerhalten.“ Der Publizist Gerd Koenen beschreibt Nationalsozialismus und Kommunismus als Versuche einer radikalen „Säuberung“ der Welt. Die totalitären Ideologien, so Koenen, waren Reaktionen auf die atemberaubend schnellen Veränderungen in Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur.

Auch der Ökologismus hegt einen konservativen Groll gegen jeglichen Wandel und wittert überall Verfall und Niedergang. Man wird den Eindruck nicht los, die grünen Glaubenslehrer wünschten sich im Grunde eine Aristokratie der Weisen (also jener Kaste, der sie sich zugehörig fühlen). „Sie verlangen“, schreibt Messelken, „das Sagen über Produzenten und Händler.“

Nicht nur vor Kim Il Sung, auch vor der Apokalypse sind alle Menschen gleich. Linke, die einst die Diktatur des Proletariats als rettende Zukunftsvision anpriesen, schwenkten in den Achtzigerjahren zeitgeistgerecht um und entdeckten den Weltuntergang als neue Utopie. Wie Karl Marx die kommunistische Gesellschaft als historisch zwangsläufig darstellte, so ist auch das globale Finale nicht abzuwenden. Die Ausrichtung auf den Untergang und die Verneinung jeglichen Fortschritts war in der Frühzeit der grünen Bewegung ein Leitmotiv der Vordenker – und ist es teilweise heute noch. Der frühere CDU-Abgeordnete und Mitbegründer der Grünen, Herbert Gruhl, umriss die Lage der Umwelt kurz vor seinem Tod 1993 mit den Worten: „Der Patient stirbt, deshalb braucht man auch keine Therapie mehr.“ Sein letztes Buch nannte er „Himmelfahrt ins Nichts“. Endzeitprophet Rudolf Bahro raunte im Sterbebett von drohender „Selbstausrottung“. Ökojournalist Horst Stern bekannte, dass er auf die erzieherische Wirkung eine „Vielzahl flächendeckender Kleinkatastrophen“ hoffe. Ökoguru Jürgen Dahl prophezeite in der Zeit, nichts würde die Menschheit vor dem Weltuntergang bewahren, außer ein „in seinen Dimensionen heute kaum vorstellbarer Abbau all dessen, was wir als Inbegriff zivilisierten Lebens zu sehen gewohnt sind.“

Solche misanthropische Düsternis hat Tradition. Bereits die Theoretiker der ersten Naturschutzbewegung, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts entstand, verachteten den wissenschaftlichen Fortschritt und den wachsenden materiellen Wohlstand. Da wundert es nicht, dass viele von ihnen sich später jenen Kräften anschlossen, die Schluss machen wollten mit Modernismus und Materialismus. „Keine Zeit“, erklärte ein großer deutscher Naturschutzverband 1933, „war für unsere Arbeit so günstig wie die jetzige unter dem Hakenkreuzbanner der nationalen Regierung.“ Umweltschützer von heute machten sich diese Wurzeln kaum bewusst, schrieb der Historiker Thomas Adam. Sie „betrachten sich vielfach – ungeachtet der älteren Naturschutzbewegung – als etwas völlig Neues in der europäischen Geschichte und laufen damit Gefahr, manchen Fehler ihres wahren Ahnen (der alten Naturschutzbewegung; M. M.) zu wiederholen.“

Zwar ist der Totalitarismus in Grün keine Massenbewegung geworden, doch die gnadenlosen Retter des Planeten haben sich einen Teil vom Kuchen der Macht gesichert. Dort besitzen sie genügend Einfluss, um die „Fehler ihrer wahren Ahnen“ noch mal auszuprobieren.

Michael Miersch, 43, lebt als Buch- und Filmautor in München. Seine Schwerpunkte: Natur und Ökologie