beiseite
: Oper

Die erdfarben geschminkten Gesichter sind starr vor Schrecken. So wie Tiere zur Schlachtbank geführt werden, stumm hintereinander, den Blick ins Leere, bewegen sich die Menschen durch den Raum. Apathisch haben sie sich ihrem Schicksal ergeben.

Die Atmosphäre in Winfried Radekes Inszenierung ist trostlos, fast ein wenig unheimlich. Der Kaiser von Atlantis ist ein herrschsüchtiger, militaristischer Diktator (Jörg Gottschick). Morden ist seine Berufung. In so einer Welt, in der „das Sterben nicht mehr weinen, das Leben nicht mehr lachen kann“, in der der Tod (Berthold Kogut) jegliche Menschlichkeit verloren hat, verweigern der Harlekin (Andreas Schön) und der alte Soldat ihre Aufgaben. Die beiden allegorischen Figuren, das Leben und der Tod, bringen so das System zu Fall. Denn ohne Tod kein sinnvoller Krieg.

Es ist eine kleine Geschichte, die diese einstündige Oper des Librettisten Peter Kein mit der recht eingängigen und doch voller Widerhaken versehenen Musik von Viktor Ullmann erzählt. Entstanden ist ihr Gemeinschaftswererk 1943 im damaligen Vorzeigeghetto Theresienstadt. Die Kultur wurde im Lager nicht nur gestattet, sondern sogar gefördert, wenn auch nur zu Propagandazwecken. Erlaubt wurde keineswegs alles.

„Der Kaiser von Atlantis“ wurde schon nach der Generalprobe von der Zensur verboten. Dass Kiens „Legende“, wie er sein Stück nannte, von der Sinnlosigkeit des gegenwärtigen Krieges, dem elendigen Sterben im Ghetto und einem menschenverachtenden „GröFaz“ handelte, war den Zensoren trotz aller Parabelhaftigkeit nicht entgangen. Dass ein einfacher Soldat (Hartmut Kühn) und ein Mädchen (Margit Dürr) sich inmitten dieser lebensfeindlichen Gesellschaft zu ihrer Liebe bekennen, grenzte dabei an Rebellion.

23 Jahre alt war Kien, als er den Text schrieb. Ein Jahr später wurde er, wie auch sein Komponist Ullmann, in Auschwitz ermordet. Das Manuskript dieser Oper blieb erhalten. 1975 wurde sie erstmals in der Fassung von Kerry Woodward aufgeführt und erlangte im Laufe der Jahre einige Beachtung. Der Neuköllner Oper ist es zu verdanken, dass auch andere Theater das Stück in ihr Repertoire aufgenommen haben. Winfried Radeke erarbeitete anhand des Originalmanuskriptes eine vergleichsweise authentische Bühnenfassung. Damit erlangte 1989 die gerade erst eröffnete Neuköllner Oper einen beachtlichen Erfolg. Und diesen müsste sie mit dieser für ihre Verhältnisse sehr aufwendigen Inszenierung eigentlich ohne Probleme wiederholen

Axel Schock

Heute, ab 20 Uhr, Neuköllner Oper, Karl-Marx-Str. 131 – 133. Nächste Aufführungen: 10. – 12. 2 und 17. –19. 2.