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Frau im Fight Club

Arbeiter, Boxer und Bad Guys: Chris Dreiers Bildserie „Gosplan“ im Milchhof archiviert flüchtige Momente männlichen Heldentums

James H. Savage ist ein Killer. Der Blick des zum Tode Verurteilten, den die Kamera ohne Anteilnahme registriert, geht zornig ins Leere. Sein in den Massenmedien reproduziertes Abbild ist das rätselhafte Dokument persönlichen Schicksals und ein Exempel der bestehenden Machtverhältnisse.

„Das Leben schöner & den Menschen edler machen, in Acryl“, lautet der Untertitel der im schottischen Exil entstandenen Serie „Gosplan“ der ehemaligen HDK-Meisterschülerin Chris Dreier. Ihre Porträts zeugen von namenlosem Ruhm, der zwischen den Seiten von Sonntagsbeilagen verblasst ist, hinfällig geworden als auf dem Flohmarkt gehandeltes Anschaungsmaterial der Ära Stalins. „Gosplan“ entspricht in seiner Bedeutung einem Fünfjahresplan. Das Ideal des neuen Menschen, der sich vor allen Dingen durch seine Arbeit für das Kollektiv definiert, findet in Dreiers Studien eine unerwartete Erweiterung. Die idealisierenden Fotografien der sowjetischen Arbeiterhelden der Fünfzigerjahre, die ihrer Malerei zugrunde liegen, verbinden sich als Serie gleichwertig mit den Porträts von Boxern, Entertainern und Mördern.

Dreiers lakonischer Realismus orientiert sich an dem Erscheinungsbild von Pressefotos und propagandistischem Material. „Iwan Martinenkow, Schweißer“, „James H. Savage, Death Row, Florida“: leidenschaftslose Protagonisten einer Welt, die den Regeln eines Fight Club gehorcht. Sie spiegeln das Innenleben von Kasernen, Gefängniszellen, Bergwerken und Hochöfen wieder, Männerwelten.

Das Material zu „Gosplan“ entstammt der über Jahre hinweg angelegten Sammlung von Zeitungsausrissen, Fotos und Fundstücken „The Files“, die 1989 begonnen wurde. Dieses Jahr markiert einen Bruch in Dreiers Laufbahn: Die Künstlerin, die mit dem Autor D. Holland Moritz an mehreren Textperformances arbeitete, halbdokumentarische Filme drehte und ihre Zeichenserien wie „Topgirls“ in der inzwischen legendären Galerie Eisenbahnstraße ausstellte, war von Angstzuständen befallen. Das änderte sich, als sie andere Professionen fand. Dreier schulte zur Truckerin um, arbeitete für einen Zirkus, fuhr Schulbusse und Zementwagen, wurde Mitglied im Kreuzberger Rockerclub „44er“, der keine Frauen aufnimmt. Schließlich zog sie nach Schottland und arbeitete als Deckhand auf einem Fischkutter.

Ihre Sammlungen und Studien dokumentieren die Kluft zwischen Kunst und Biografie. Indem Dreier ihre Modelle ohne Unterschiede ikonografisch überhöht, sie vor monochromen Hintergründen mit sparsamen malerischen Gesten auf Blick und Haltung reduziert, statuiert sie an ihnen ein Exempel. Stellvertretend für ihre eigenen Obsessionen und stellvertretend für ihre Kollegen und Kumpel setzt sie ihre vergessenen Helden kommentarlos der Frage nach Schuld und Unschuld aus.

Stalins erzieherischer Auftrag an Arbeiter und Künstler, den Menschen zu verbessern, erweist sich hierbei als ebenso zweifelhaft wie die Authentizität der Vorlagen. Wenn Dreier verspricht, das Leben zu verbessern, tut sie dies dadurch, indem sie die von ihr bearbeiteten männlichen Mythen ihrer ursprünglichen Materie zuführt: zurück zu Druckfarbe und Papier, Leinwand und Acryl.

Oliver Koerner von Gustorf

Von heute bis 12. 2. im Milchhof, Anklamer Straße 29, Mitte

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