Die Österreicher fürchten sich vor ihrer neuen Regierung
: Eine Haiderangst

In Österreich hat außer Jörg Haider fast jedermann Angst. Haider aber hat siegreich lächelnd erklärt, er habe seine Arbeit getan und könne nach Kärnten zurückreisen. Er ist glaubwürdig und berechenbar, denn vor Jahr und Tag hat er erklärt, ihm sei gleichgültig, wer unter ihm Bundeskanzler sein würde.

Bundespräsident Thomas Klestil hat einem Nachrichtenmagazin gesagt, die Vereidigung einer Regierung mit Haiders FPÖ wäre gegen seine persönliche Überzeugung, aber er könne rechnen und wisse, dass diese Kombination im Parlament die Mehrheit habe. Vor seinem Recht, eine Regierung Schüssel-Haider trotzdem nicht zuzulassen, sondern das Parlament aufzulösen, eine ihm genehme Übergangsregierung zu ernennen und damit Neuwahlen zu verursachen, hatte er jedoch Angst und zögerte deshalb eine Entscheidung so lange wie möglich hinaus. Ob er an Hindenburg denkt, der pflichtgemäß einen Kanzler vereidigen musste, den er vorher als „böhmischen Gefreiten“ verspottet hatte?

Wolfgang Schüssel hat Angst, dass sein sehnlichster Wunsch, österreichischer Bundeskanzler zu werden, zwar in Erfüllung geht, aber nur für kurze Zeit. Die Unsicherheit sieht man ihm bei jedem Fernsehauftritt an. Vor den nächsten Wahlen muss er zittern. Vor den Reaktionen des Auslands, auch der christdemokratischen „Bruderparteien“, hat er eine Heidenangst. Welche Ministerpräsidenten werden jetzt mit ihm, dem Kollegen, zusammentreffen wollen?

Die österreichische Wirtschaft fürchtet sich vor ausbleibenden Investitionen. Besonders besorgt sind die Tourismusbranche, die vielen Österreichern Arbeit gibt, die Nahrungsmittelindustrie und die damit verbundene Landwirtschaft. Am meisten Angst jedoch haben die Österreicher, sowohl die „richtigen“ als auch die „neuen“.

Was ein „richtiger Österreicher“ ist, bleibt ein Rätsel. Im Telefonbuch weist die Mehrzahl der Namen auf böhmische, slowakische, slowenische, kroatische, serbische, polnische, ungarische oder italienische Herkunft hin. Der Rest mögen „Deutschösterreicher“ sein. Bösartig könnte man fragen, warum dann nicht einfach gleich „Deutsch“ und „Ostmark“ statt Österreich? Oder ist Österreicher, wer Erdäpfel statt Kartoffeln, Kukuruz statt Mais, Paradeiser statt Tomaten sagt und weiß, was ein Stanitzel ist?

Noch kennt man das Regierungsprogramm nicht gut genug, um zu wissen, was auf den Durchschnittsbürger zukommt. Aber man hat Angst, weil Kranksein, elektrischer Strom und Tabak teurer werden; Beamte, bisher die treueste Klientel der ÖVP, fürchten sich vor Entlassung. Haider hat erklärt, er würde nicht zulassen, dass Benzin teurer wird. Aber das ist Augenwischerei: Dafür werden die Steuern für die Kraftfahrzeuge steigen, und die Aufkleber, die für die Autobahnbenutzung obligatorisch sind, werden doppelt so teuer. Weiteres Geld will sich die neue Regierung durch Privatisierungen verschaffen und ihre Anteile am Wiener Flughafen, an der Telekom, der Postsparkasse, Austriatabak usw. verkaufen. Dass damit der Verlust von Arbeitsplätzen verbunden sein wird, beginnt man sich auszurechnen.

Wer eine dunkle Haut hat, auf andere Art „ausländisch“ aussieht oder nicht gut und womöglich ohne österreichischen Dialekt Deutsch spricht, hat große Angst, auch wenn er die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt. Die ersten verbalen Angriffe von Ewiggestrigen haben begonnen. Die Demonstranten gegen die neue Regierung trugen ein Plakat: „Wir haben Angst!“ Aus Israel erhielt ich von Verwandten eine E-Mail, wer sich als Jude unsicher fühle, möge doch hinkommen. Bisher haben sie mich eher beneidet, einer hat es so erklärt: „ ... ihr glaubt, Israel ist ein Wiener Kaffeehaus? Nein, hier ist Afrika!“

Wo ist Österreich? Früher hieß es, der Balkan beginnt am Wiener Ostbahnhof. Hat er sich inzwischen nach Westen ausgebreitet? Steht eine Achse Belgrad – Wien bevor? Wenn man Schüssel hört, wie er betont, die Regierung werde in Wien und nicht im Ausland zusammengestellt, wie er sich auf Demokratie beruft, wenn die halbe Welt vor seinem Koalitionspartner zittert, dann erkennt man dieselbe Wortwahl wie in Serbien. Und da soll man keine Angst haben?

Ivan Ivanji

Der Autor war KZ-Häftling und Zwangsarbeiter. Heute lebt er als Publizist und Schriftsteller in Wien und Belgrad