Rassistische Gedankenbrühe

Von „gekochten Negern“, Nazi-Karrieren, biologisch-dynamischer Düngung in Auschwitz und der Dekadenz des Pop: ein Buch über die dunkle Seite der Anthroposophie  ■ Von Dirk Franke

Anthroposophen sind die in Deutschland größte und prominenteste esoterische Bewegung. Obwohl die Gemeinschaft insbesondere durch die Waldorfschulen und die biologisch-dynamische Demeter-Gruppe einen friedlich-sympathischen Ruf hat, fußt sie doch auf einer tief im völkischen Denken der Jahrhundertwende entstandenen undemokratischen Ideologie. Dieser Glaubensüberzeugung ist auch das Denken in höheren und niederen Rassen nicht fremd. Meistens bleibt die dunkle Gedankenbrühe in den verschroben geschriebenen Schriften des Anthroposophie-Begründers Rudolf Steiner verborgen – manchmal allerdings tritt sie an die Oberfläche. Der Autor Peter Bierl zeigt in seinem Buch Wurzelrassen, Erzengel und Volksgeister die Auswirkungen, die diese Gedankenbrühe auf frühere und heutige Anthroposophen hat. Vor allem aber demonstriert er , wie durch die Schriften Rudolf Steiners das Antidemokratische tief im anthroposophischen Denken verankert wurde.

Am augenfälligsten wurde das im Nationalsozialismus. Bereits 1933 hatte der Sekretär der Anthroposophischen Gesellschaft erklärt: „Es wird sicher etwas Gutes dadurch entstehen.“ Schließlich fanden sich eine ganze Menge An-knüpfungspunkte zwischen beiden Bewegungen: der Bezug auf Volk und Seele, der Hass auf Materialismus und Intellektuelle, der Antikommunismus und die Idealisierung des Germanentums. Allerdings ging es den Antroposophen auch wie anderen völkischen Gruppen: Sie gerieten in den Widerstreit verschiedener Nazi-Größen. Immerhin hatten sie selbst einen Allmachtsanspruch, der zwar in vielem mit der Nazi-Ideologie kongruent war, aber halt nicht in allem. Und spätestens seit dem Englandflug von Rudolf Hess verlor die esoterische Bewegung an Einfluss auf die Nazi-Kader. Obwohl es Widerstand gegen Anthroposophen gab, bekamen sie immer wieder Schutz und Unterstützung von anderen Stellen im System. Führende Anthroposophen hatten keine Probleme, in der NS-Zeit Karriere zu machen. Und selbst Heinrich Himmler regte 1941 die Anlage eines wissenschaftlichen Versuchsgartens mit biologisch-dynamischer Düngung in Auschwitz an.

Das gegenseitige Verständnis ist nachvollziehbar, ist doch der Rassismus schon in den Schriften der Anthroposophen begründet. Laut Steiner entwickelt sich die Menschheit in sieben Wurzelrassen, die wiederum in je sieben Unterrassen aufzuteilen sind. Jetzt und bis in die unbestimmte Zukunft hinein seien die Arier die am weitesten entwi-ckelte Wurzelrasse, und – wie sollte es anders sein – die nordisch-germanische Unterrasse sei die höchs-te. Andere Rassen schneiden nicht so gut ab: Die „Ur-Semiten“ haben durch den Fluch der Ratio ihre Religiösität verloren und gehen schließlich an „Neuerungssucht und Veränderungslust“ zugrunde. „Der Neger“ hingegen werde „drinnen fortwährend gekocht“ und habe deswegen ein „starkes Triebleben“. Neben Stammtischwissen schließt Steiner aber auch an die antidemokratischen Elemente der völkischen Esoterik an. Er propagierte einen organischen dreigliedrigen Ständestaat, in dem eine Elite der Fähigen das Sagen habe. Demokratie nach westlichem Muster gilt als dekadent. Eine Idee, der auch der anthroposophische Künstler Joseph Beuys anhing, dem der Bienenstaat als Ideal galt.

Neben solchen aktuellen Exkursen widmet sich Bierls Buch vor allem den historischen Prozessen und der zugrunde liegenden Heilslehre. Da empirische Studien über heutige Erscheinungen fehlen, beschränkt er sich auf Beispiele. Da wäre etwa die Tatsache, dass Fußball oder Popmusik als westlich-dekadent an Waldorfschulen verpönt sind. Der anthroposopische Kampf gegen das Physische reicht indes noch weiter. Denn auf dem Weg von der „niedersten Geschlechtsliebe“ zur „höchs-ten vergeistigsten Liebe“ bleibt der menschliche Körper natürlich auf der Strecke. Sexualität wird genauso unverkrampft behandelt wie in der katholischen Kirche. Und so verwundert es wenig, dass ein ehemaliger Waldorflehrer die Atmosphäre an den Schulen als „erziehungsbrünstig“ beschreibt. Ob jedoch trotz solch überzeugender Materialien Steiners Anhänger Peter Bierl einen blonden Haarschopf zugestehen würden, bleibt fraglich. Sie sollten es tun. Denn, so Steiner: „Die blonden Haare geben eigentlich Gescheitheit.“

Peter Bierl: „Wurzelrassen, Erzengel und Volksgeister. Die Anthroposophie Rudolf Steiners und die Waldorfpädagogik“, Konkret-Literatur-Verlag, Hamburg 1999, 272 Seiten, 39 Mark