Autos zu Rucksäcken ■ Von Ralf Sotscheck

Jim war verzweifelt. „Irland verdeutscht immer mehr“, jammerte er. „Erst zwingen sie uns Kilometer statt Meilen auf, dann wollen sie unser Land mit Aldi-Märkten überziehen, und nun auch noch das.“ Die Behörden hatten sein Auto stillgelegt, denn seit dem 1. Januar gibt es in Irland einen TÜV – zunächst allerdings nur für Wagen, die vor 1992 zugelassen worden sind. Und Jims Auto ist 1991 geboren. „Sie haben sich über meinen Kleinwagen lustig gemacht“, klagte er. „Einer hat mir sogar empfohlen, die Sicherheitsgurte nach außen zu verlegen und es als Rucksack anzumelden, das sei steuerfrei und benötige keinen TÜV.“ Die irische Regierung hat 43 Prüfstellen eingerichtet, dazu kommen drei mobile Einheiten, die in entlegenen Landesteilen unterwegs sind. Die Prüfer sind streng, kein Vergleich mit der bisherigen technischen Untersuchung, die manchmal von Versicherungen für besonders betagte Gefährte verlangt wurde. Diese Hürde war nie sehr hoch. Solange der Wagen über vier Räder verfügte und bei der Untersuchung keine wichtigen Teile verlor, bekam man den Stempel ohne Schwierigkeiten. Darauf hatte Jim gezählt. „Das bisschen Rost“, sagte er, „das wäre ihnen gar nicht aufgefallen, wenn ich den Wagen nicht gewaschen hätte.“ Dann betrachtete er mein Auto argwöhnisch. „Dein Auto ist nicht nur viel älter, sondern auch in einem weitaus erbarmungswürdigerem Zustand als meins“, sagte er vorwurfsvoll. „Wenn es ein Pferd wäre, würde man es erschießen. Warum darfst du damit noch herumfahren?“ Es ist die Gnade der späten Geburt. Allerdings kommt es dabei nicht auf das Jahr, sondern den Monat der Erstzulassung an. Bei meiner Kiste war es der Dezember, während Jims Auto im Januar den Asphalt der Welt erblickte – wenn auch fünf Jahre später. So hat mein Wagen mit flügellahmer Stoßstange, porösen Reifen und 14 Beulen eine Galgenfrist bis Jahresende. Dann heißt es Abschied nehmen. Vier Fünftel aller Autos sind bisher durchfallen. Über die Hälfte hatte mangelhafte Bremsen. „Wenn die Bremsen nicht funktionieren, erhöht sich die Unfallgefahr, und wenn man schnell fährt, ist der Aufprall härter“, erklärt Richard Horque, und man ahnt, warum sie ihn zum Chef der Prüfstelle gemacht haben.

Für den Staat ist der neue TÜV eine Goldgrube, allein in diesem Jahr werden 450.000 Wagen getestet, jede Vorführung kostet umgerechnet fast 90 Mark. Im Wiederholungsfall wird es etwas billiger, und die Prüfer sorgen dafür, dass es viele Wiederholungen gibt. Zur Verblüffung der Autobesitzer kontrollieren sie sogar das Licht. Dabei galt es bisher als höhere Gewalt, wenn eine Birne kaputt ging. Man hält sie ohnehin für einen entbehrlichen Luxus, denn solange noch die Hand vor Augen zu erkennen ist, schaltet niemand das Licht ein. Jims Auto hat nur eine Chance, der Schrottpresse zu entgehen: Es muss auf eine Insel, die weder durch eine Brücke noch durch eine Autofähre mit dem Festland verbunden ist. Und bei Ebbe darf das Meer nicht so weit verschwinden, dass man über das Watt an Land könnte. Dann braucht man keine TÜV-Plakette. Dafür steht den Insulanern nun andere Unbill ins Haus: Demnächst müssen auch kleine Passagierboote und Angelkähne zum TÜV. Und davon sind die Inseln nicht ausgenommen.