Die Vielfalt des Islam
: Streit um Milli Görüs

Kürzlich fand in Berlin ein Vortrag zum Thema „Islamische Gemeinden im deutschen Umfeld – die Geschichte eines Kommunikationsdefizits“ statt. Der Veranstalter, die Heinrich-Böll-Stiftung, hatte dazu in der Einladung geschrieben: „Wir wenden uns mit dieser Veranstaltungsreihe vorrangig an Nicht-Muslime und laden sie ein, sich von dem Schlagwort ‚Islam‘ zu lösen bzw. dahinter eine Vielfalt von religiösen und kulturellen Verständnissen und Praktiken von Muslimen wahrzunehmen – mit verschiedenen gesellschaftspolitischen Positionen.“ Ein vornehmer und lobenswerter Anspruch.

Von der Vielfalt der Positionen bot sich denn auch dem Besucher – gerade in der dem Vortrag folgenden Diskussion – ein eindringliches Bild. Nach kurzer Zeit wurde nämlich klar, dass es sich bei dem Abend nicht um eine Erörterung der dem Vortragsthema zu entnehmenden humanistischen Frage gehen würde, wie Wahrnehmungs- und Kontaktschranken zwischen Mehrheitsgesellschaft und Minderheit zu überwinden sind. Stattdessen ging es nach wenigen Minuten um die sehr ideologische Frage, wie die islamistische Organisation Milli Görüs zu bewerten sei. Die ihr nahe stehende Islamische Föderation Berlin ist nämlich als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt worden, was bedeutet, dass sie sich grundsätzlich darum bemühen kann, islamischen Religionsunterricht an Berliner Schulen zu erteilen.

Nun steht Milli Görüs im Verdacht, eine fundamentalistische Organisation zu sein mit extremistischen und nationalistischen Positionen. Die Befürchtung liegt nahe, hier könnte der Versuch unternommen werden, Kinder zu manipulieren. (Die Entscheidung ist allerdings angefochten worden und hängt zur Zeit in der Schwebe.)

So diente der Abend dem Schlagabtausch der beteiligten Parteien. Die einen fühlten sich von der „fundamentalistischen Keule“ erschlagen, die anderen bezichtigten Milli Görüs und die Islamische Föderation einer Verschleierung ihrer tatsächlichen Verwicklungen. Eine Diskussion im Sinne eines Miteinanderredens gab es nicht. Das im Vortragstitel beschworene Kommunikationsdefizit erwies sich schnell als anthropologische Konstante zwischenmenschlichen Verhaltens: Eine Annäherung gegensätzlicher Positionen findet nicht statt.

Untermauern ließ sich diese Einsicht durch das Verhalten der Referentin des Abends, der Religionswissenschaftlerin Gerdien Jonker. In ihrer Parteinahme für Milli Görus, die sich nicht mit ihrem gleichzeitigen Anspruch auf eine nüchterne Bestandsaufnahme deckte, war sie ein leuchtendes Beispiel der Diskussionskultur. Die Moral der Geschichte lautet so: Humanistisches Gedankengut muss zwangsläufig an politisch-ideologischer Auseinandersetzung scheitern. Die Konfrontation scheint der einzige Weg zum Landgewinn zu sein.

Martin Hager