Nebensachen aus Brüssel
: Antifaschistischer Schutzwall Belgien

Und wieder ist Belgien in den Schlagzeilen. Aber nicht mit einer neuen Idee, wie die Nahrungskette zu bereichern wäre. Auch nicht mit Tim und Struppi oder Brüssel 2000. Nichts Neues vom tumben Kronprinzen und seiner schönen Mathilde, vom Dirigenten ihres Hochzeitschors oder anderen Kinderschändern.

Indirekt zurück in den Nachrichten sind die belgischen Kinderschänder aber doch. Der Haider-Jörgl hat sie ins Spiel gebracht. Weil er sich von solchen nichts sagen lässt. Von belgischen Dioxinpanschern und korrupten Politikern genauso wenig. Dass die sich gegen einen wie ihn mausig machen, wo sie doch selber Dreck am Stecken haben.

Verblüffend ist das schon: Als das höchste britische Zivilgericht vor einer Woche entschied, den greisen chilenischen Ex-Diktator aus Gesundheitsgründen laufen zu lassen, da war es das kleine Belgien, das zusammen mit sechs Menschenrechtsorganisationen dagegen Einspruch erhob. Und als sich zwei Tage später der Konservative Wolfgang Schüssel mit dem rechten Krawallmacher Haider auf eine Koalition verständigt hatte, da war es wiederum Belgien, das als erstes Land damit drohte, seinen Botschafter aus Österreich abzuberufen.

Es war auch der belgische Ministerpräsident, der am energischsten auf eine gemeinsame Reaktion der europäischen Regierungschefs gedrängt hatte, die dann ja auch zustande kam. Die politischen Beobachter im Land, die gegen Kritik von außen allergisch reagieren, aber selbst den eigenen Landsleuten und der eigenen Regierung mit tiefer Skepsis gegenüberstehen, hatten gleich eine desillusionierende Erklärung parat: Im Oktober werden in Belgien die Gemeinderäte gewählt. In Antwerpen gehört schon jetzt jeder dritte Abgeordnete dem rechtsradikalen Vlaams Blok an. Bislang haben die flämischen Christdemokraten der Versuchung widerstanden, mit den Rechtsradikalen zu koalieren – und das soll, bitte schön, auch in Zukunft so bleiben.

Die deutlichen Worte der Regierung, so die Vermutung der misstrauischen Leitartikler, seien also in Wahrheit gar nicht an Schüssel gerichtet, sondern an die Konservativen im eigenen Land: Wer sich vom Vlaams Blok in den Sattel hieven lasse, dem könne es leicht wie der ÖVP ergehen, so laute die Warnung der Regenbogenkoalition.

Da mag etwas dran sein. Die ganze Wahrheit ist es sicher nicht. An vielen Universitäten im Land hingen am Wochenende die europäischen Fahnen auf halbmast, demonstrierten Studenten, teilten Professoren Flugblätter aus.

Der flämische Publizist Geert van Istendael bescheinigt seinen Landsleuten, sie benähmen sich ihrem Staat gegenüber wie verwöhnte Kinder. Fühlten sich zwar unverstanden von ihm, wollten aber gleichzeitig von seinen Segnungen so viel wie möglich profitieren. Dem belgischen Staat ist diese Haltung seiner Bürger schlecht bekommen. Die Zivilgesellschaft aber scheint dadurch, dass mit Belgien kein Staat zu machen ist, eher gestärkt zu werden.

Ein Netz von Hilfsorganisatioen versorgt und beschützt die illegal im Land lebenden Ausländer. Es arbeitet ähnlich effizient wie seinerzeit der belgische Widerstand gegen Hitler. Und es wäre ohne einen Staat, der seine Hoheitsrechte nur halbherzig durchzusetzen versucht, nicht denkbar. Tatsächlich scheint das seit Jahrhunderten herrschende staatliche Chaos die Menschen ermutigt zu haben, ihre Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Eine vorbildliche Zivilgesellschaft – der leider wie ein Fliegenschiss der Vlaams Blok auf der weißen Weste sitzt. Sollte es im Oktober tatsächlich zu Koalitionen zwischen den Rechtsradikalen und den Konservativen kommen, dürften die Schlagzeilen aus Belgien wieder spannend werden. Daniela Weingärtner