Jüdisches
: „Wenig hilfsbereit“

Die vor kurzem vorgelegte soziologische Studie des Moses Mendelssohn Zentrums über russisch-jüdische Einwanderer muss sich wieder einmal mit der Mär beschäftigen, Deutschland sei kein Einwanderungsland. Denn solange das nicht endlich als Tatsache angenommen wird, erstaunt die Aggressivität nicht, mit der der Begriff „Integration“ besetzt wird. In was überhaupt integrieren? Wer nach Ostdeutschland kommt, sieht sich Ablehnung und Übergriffen ausgesetzt. Von Kontakt kann keine Rede sein: Die „gesellschaftliche Randstellung“ verfestigt sich, so das Fazit der Fallstudie zur Situation in Leipzig.

In den alten Bundesländern sind die Fehler eher institutionalisiert – da werden die Menschen ohne Rücksichtnahme dort untergebracht, wo es politisch durchsetzbar ist und nicht dort, wo Verwandte oder Bekannte wohnen oder wo Chancen auf einen angemessenen Arbeitsplatz bestehen. Vor allem aber, das stellt der Hauptbeitrag „Jüdische Zuwanderer aus der GUS – zur Problematik von sozio-kultureller und generationsspezifischer Integration“ klar, wird durch die Verteilung in kleine Orte oft genug die Teilnahme am jüdischen Leben unterbunden.

Viele Zuwanderer streben in die Großstädte, nur dort gibt es Synagogen. Wer ohne Arbeit ist, darf nur mit Genehmigung umziehen, sonst geht jede staatliche Unterstützung verloren. Arbeit zu finden ist ohnehin schwierig, die zeitraubenden Anerkennungsverfahren für Berufsabschlüsse tun das Übrige. Zudem sind die Deutschkurse mittlerweile auf sechs Monate gekürzt worden: „Es kann nicht im Interesse einer weitsichtigen und durchdachten Integrationspolitik liegen, dass erhebliche Mittel auf Dauer für den Unterhalt und die Betreuung von Sozialhilfeempfängern aufgewandt werden, die weitaus kostengünstiger und sinnvoller in die berufliche und sprachliche Qualifizierung der Zuwanderer investiert werden könnten.“

Obendrein beurteilen viele das Verhalten der Behörden als „nicht hilfsbereit“. Kein Wunder, dass Michael Szentei-Heise, Verwaltungsdirektor der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf, repetiert, die große Mehrheit brauche die soziale Hilfe der Gemeinden (im Widerspruch zu Alphons Silbermann und seiner Kölner Fallstudie, in der er schließt, die Zuwanderer, die im Judentum nicht sehr verankert seien, würden die Gemeinden als „Servicecenter“ missbrauchen.)

Die soziale und wirtschaftliche Lage rangiert als Grund, Russland verlassen zu haben, erst hinter einem anderen: dem Traum von „größerer Sicherheit vor feindlichen Angriffen“. Dieser Aufgabe hat sich Deutschland anzunehmen – die Einstellung zu den russisch-jüdischen Zuwanderern verrät viel über den alltäglichen deutschen Antisemitismus. Der Blick in die Medien entlarvt die Masken, die sich die Autoren aufsetzen: Selbst liberale Medien wie der Tagesspiegel oder die Süddeutsche Zeitung bilden oft nur ein höchst klischeehaftes Bild vom russischen Juden ab. Bei der verschwindend geringen Zahl an Juden in Deutschland spielt das in den Medien kolportierte Bild mangels eigener Erfahrungen aber eine wichtige Rolle; hierzu wären längere Ausführungen in diesem Buch interessant gewesen.

Mareile Ahrndt

Julius H. Schoeps, Willi Jasper, Bernhard Vogt (Hrg.): Ein neues Judentum in Deutschland? Fremd- und Eigenbilder der russisch-jüdischen Einwanderer, Verlag für Berlin und Brandenburg, Potsdam 1999, 325 Seiten, 49 DM