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„Das Fernsehen ist alles“

■ Gestern abend wurde die 50. Ausgabe der Berlinale mit Wim Wenders’ Film „The Million Dollar Hotel“ eröffnet. Ein Gespräch über unschuldige Medienkinder, die Talsohlen von Amerika und den Rummel am Potsdamer Platz

taz : Herr Wenders, in Ihren Büchern „The Act of Seing“ und „Emotion Pictures“ taucht das Jahr 2000 immer wieder als eine Schallgrenze auf, mit der Sie eine Art Zukunftsversprechen verbinden. Und jetzt sind Sie in Ihrem neuen Film ganz beiläufig im Jahr 2001 angelangt ...

Wim Wenders: Ich habe dieses Datum bereits in „Bis ans Ende der Welt“ gefeiert, da gibt es die Silvesterparty 2000, nach der Jeanne Moreau dann stirbt. Der Film wurde 1990 gedreht, und damals war das Jahr 2000 noch eine magische Marke. Inzwischen hat alle Welt die Party gefeiert. Als wir mit den Dreharbeiten zu „The Million Dollar Hotel“ begannen, da dachte ich mir: Der Film kommt im Frühjahr 2000 raus, und dann haben die Leute das Jahr 2000 so dicke, und aus dem vorigen Jahrhundert will auch keiner mehr einen Film sehen. Da haben wir das eine Jahr einfach kess übersprungen.

„The Million Dollar Hotel“ spielt in einem heruntergekommenen Hotel in Los Angeles, das von lauter skurrilen Gestalten bevölkert ist. Die Figuren leben nicht nur äußerlich in einem uneingerichteten Zustand. Was hat Sie an diesem Provisorium interessiert?

Das Hotel ist natürlich trotz allem ein Zuhause, auch mit einer gewissen Geborgenheit. Diese Haufen, die sich da zusammenfinden, das ist fast eine Familienbeziehung mit Onkel, Tanten, Schwestern und Brüdern und Großeltern. Tom Tom, die Hauptfigur, hat sich in seinem Zimmer schon ein bisschen eingerichtet, es sieht da drin ja aus wie in seinem Kopf. Auch wenn man in die tatsächlichen Zimmer des Hotels reingeguckt hat – da wohnten zu dem Zeitpunkt, als wir drehten, 800 Leute drin – hatte ich das Gefühl, dass diese Leute kein anderes Zuhause haben und dass das Hotel eine Art Schutzburg ist, so heruntergekommen es auch sein mag. Das hat etwas Flirrendes, auch etwas Haltloses: Tom Tom sitzt am Fenster und sagt, dass er den Eindruck hat, die Welt dreht sich immer schneller, und er hofft, dass er sich nur irgendwo festhalten kann, um nicht runterzufallen.

Diesen Blick aus dem Fenster gibt es immer wieder in „The Million Dollar Hotel“. Es ist wie ein Rahmen, durch den man auf die Stadt blickt, ein fernes Bild im Bild. Andererseits hört man auf der Tonspur immer das heutige Los Angeles mit Hupen und Sirenen.

Da draußen, das ist halt Amerika. Am Anfang kommt man von draußen ins Hotel rein und denkt: Das sind alles Spinner hier, das ist ja ein Irrenhaus. Aber im Lauf der Zeit hat man doch ein bisschen das Gefühl, dass es da drinnen eigentlich ganz vernünftig ist und außen noch verrückter. Zwei Ecken weiter stehen die teuersten Appartement-Häuser der Stadt, zwei andere Ecken weiter sind die japanischen Touristen in ihren Luxushotels. Aber da, wo wir gedreht haben, ist halt der absolute Tiefpunkt. Aus dieser Talsohle, dem Hotel, sieht man das Amerika drum herum in kleinen Bruchstücken.

Die Freak-Gäste Ihres Hotels haben auch eine ziemlich künstliche Kinodimension. Es sind Kino-Archetypen wie die Lady, deren große Zeit vorbei ist, der weise alte Schwarze oder der verkrachte Künstler.

Das ist schon so eine merkwürdige Mischung aus Popkultur und Kino. Schon eine Sammlung, die man aus anderen Zusammenhängen kennt, durch andere Filme, Märchen oder durch die Musikgeschichte – wie der Typ, der glaubt, der fünfte Beatle zu sein. Diese Ausgestoßenen sind auch Ausgestoßene aus allen möglichen Märchenländern.

Wenn das Fernsehen anfängt, über einen mutmaßlichen Mord im Hotel zu berichten, betreiben Sie eine ziemlich veraltete Form der Medienkritik ...

Aber die Medien werden doch aus der Sicht von Tom Tom wahrgenommen. Für den Fernsehen ja etwas Tolles ist, so wie für Kinder. Wenn die ersten Übertragungswagen vor der Tür stehen, springt er in die Luft und brüllt ganz verrückt „Oh, oh, Television, Baby, Baby.“ Es gibt auch nichts anderes in diesem Hotel. Es gibt kein Video. Die Leute gehen auch nicht ins Kino. Für die Leute ist Fernsehen das Auge in die Welt, mit allen Missverständnissen, die daran hängen. Wir sind im Aufzug immer mit den Menschen im Hotel rauf und runter gefahren. Da war ich dann mal mit Mel Gibson in so einem vollen Aufzug, und niemand hat ihn erkannt. Aber in der Halle hatten sie gerade meinen Darsteller Jimmy Smits gesehen, und das war die Sensation. Den kannten sie nämlich aus der Fernsehserie „NYPD-Blues“. Auch wenn Mel Gibson froh war, seine Ruhe zu haben, war er ein bisschen irritiert, dass alle Jimmy Smits kannten. Das ist es halt: Fernsehen ist alles. Und für Tom Tom in seiner Kindlichkeit ist es der Inbegriff von Traum, Kultur und allem. Ich habe das gar nicht so kritisch gesehen, sondern aus der Naivität dieser Figur heraus.

In Ihren Essays und Gesprächen zum Kino haben Sie immer gesagt, dass Sie möchten, dass Ihre Filme den unschuldigen Blick von Kindern einnehmen ...

Dem würde ich nicht widersprechen. Gleichzeitig bin ich natürlich auch ein erwachsener Mensch, und das Kino ist auch ein Medium, das nun wirklich sehr raffiniert sieht und genügend trickreich ist, alles auch wieder auf einer Meta-Ebene zu sehen, noch mal zu ironisieren. Aber dass so ein unschuldiger Blick in unserer Konsumgesellschaft a priori nicht mehr geht, das weiß ich auch.

Diese Sehnsucht nach einer Unschuld setzt sich im elegischen und träumerischen Duktus der Musik fort: Was war die musikalische „Idee“ von „The Million Dollar Hotel“?

Zusammen mit dem Produzenten und Drehbuchautor Bono haben wir uns eine warme, leicht jazzige, trotzdem urbane und zeitgenössische Musik vorgestellt, in der nur wenig Samples oder computergenerierte Klänge vorkommen sollten, eher richtige Instrumente. Thematisch gab es als einzige Vorlagen ein Lied von Lou Reed, „Satellite of Love“, und eine Komposition von Jon Hassell, „Amsterdam Blue“.

„The Million Dollar Hotel“ ist, wie alle Ihre Filme, getragen von einer großen Melancholie und Sanftheit. Negativ würde man sagen: „Wie in Watte gepackt.“ Verbirgt sich darunter nicht auch eine gewisse Aggressivität? Und wäre es nicht interessant, auch die mal in einem Wenders-Film zu spüren?

„Wie in Watte gepackt“ war ein Ausdruck, den ich beim Drehen verwendet habe, um Milla Jovovich zu erklären, wie ihre Figur Eloise sich in dieser Welt in Downtown L.A. bewegen sollte. Für die meisten anderen Figuren gilt das Gegenteil, die sind eher laut und leicht verrückt oder so knochenhart wie Skinner, der FBI-Agent. Die Sicht des Films wird natürlich auch nach und nach die der Hauptfigur Tom Tom, und das ist eine sehr liebevolle Art, die Welt zu sehen. Die muss sich in der Tat immer behaupten gegen aggressivere Einflüsse rundherum. Ob ich das mal selbst zu meiner Sicht machen wollte, wage ich allerdings zu bezweifeln. Das machen ja genügend andere die ganze Zeit, davon kriegt man im Kino ja heute so viel mehr mit als von Zärtlichkeit.

Wie verträgt sich Ihre sehr moralische Sicht des Kinos mit der digitalen Nachbearbeitung, derer Sie sich ja auch in „The Million Dollar Hotel“ bedienen?

A priori ist die digitale Bildbearbeitung auf Grund ihrer Herkunft aus der Werbung und in den Spezialeffekten sozusagen eine absolute Lügenmethode. Die ganze Technik hat also auf dem falschen Fuss angefangen. Es ist aber das Gegenteil der Fall, nämlich dass die digitale Technik die gesamte Sprache, Grammatik unseres Erzählens, Sehens, die gesamte Bilderwelt aufmischt, aber in jeder Hinsicht, nicht nur in Bezug auf die Lüge. Es gilt auch für das, was man erzählen kann. Man kann damit nicht nur Köpfe wegblasen, Riesenwellen über New York schwappen lassen, man kann auch in den Straßen von Havanna damit drehen und andere Sachen machen, die man auf Film gar nicht machen konnte. Das heißt, man kann von Action bis Poesie, von völliger Phantasie bis ganz stringenter Wahrheit alles damit machen. Es ist ein Quantensprung auf der gesamten Spannbreite des Erzählens.

In „Der Himmel über Berlin“ ließen Sie Curt Bois den Potsdamer Platz suchen. Da stand die Mauer noch. Haben Sie nicht das Gefühl, dass ihre mythische Sehnsucht vom Kino eingeholt wurde, weil der Potsdamer Platz jetzt auch Ort der Berlinale ist?

Ich kriege das nicht so ganz auf die Reihe. Ich finde das schon ziemlich wahnsinnig, dass an derselben Stelle ungefähr 50 Meter weiter, ungefähr an derselben Stelle, wo Curt Bois war, jetzt so ein roter Teppich ist, Cineplexe und verhältnismäßig hohe Häuser stehen. Genau da, wo er so richtig verzweifelt seine Erinnerung bemüht hat, um da in der Leere noch etwas entstehen zu lassen. Also, ich krieg es noch nicht ganz auf die Reihe, wenn ich mir vorstelle, was der Curt dazu sagen würde.Interview: Anke Leweke Katja Nicodemus

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