Farbkopien aus dem schwäbischen Familienalbum

„Nein, ich möchte Ravioli nicht essen“: Studenten der Stuttgarter Akademie für Bildende Künste zeigen Arbeiten im Roten Rathaus

Auf dem Faltblatt zur Ausstellung „home + away“ tauchen die Umrisse eines Wohnwagens auf. „Zu Hause“, das ist Stuttgart mit seiner Staatlichen Akademie der Bildenden Künste, wo so bedeutende Künstler wie Bernhard Pankok, Adolf Hölzel und Willi Baumeister unterrichtet haben.

„Fern davon“ liegt Berlin mit seinem Roten Rathaus, Sitz des Regierenden Bürgermeisters, den sich die Kunstkarawane aus der schwäbischen Akademie bei ihrer Familenreise als Ziel auserkoren hat. Angekommen ist sie dort in den Fluren der ersten Etage, wo seit 1993 Ausstellungen aus verschiedenen Bundesländern stattfinden. Ein hohes Haus, gewiss imposant, doch leider: Büroflure bieten kein inspirierendes Ambiente.

Sechs Künstlerinnen und Künstler stellen sich vor, alle Mitte bis Ende zwanzig, ausgebildet bei verschiedenen Professoren. Malerei gibt den Ton an. Nur einer, Bernhard Kahrmann, fotografiert und hat auch die einzige Installation geschaffen – eine etwas verunglückte Bastelei aus Kartons, Stangen und blinkenden Lämpchen. Seine melancholischen Lichtbilder nächtlicher Stadtszenarien sind überzeugender. Von kaltem Laternenlicht erleuchtet, erscheinen in sattgrüner oder gelber Farbigkeit Häuserwände, Balkons, Parkbänke in kühnen Ausschnitten und Ansichten. Auch Vanda Molnarova arbeitet mit Fotografie: Die Künstlerin verwendet alte Aufnahmen, vermutlich aus Familienalben, die sie als Farbkopie mit Airbrush behandelt und anschließend in kitschige Rahmen steckt oder durch Zerschneiden verfremdet.

Ebenso zu medialen Überschreitungen und kleinen, fast winzigen Formaten neigt Victoria Martini. Ihre Bilder handeln vom häuslichen Alltag, zeigen „Hausfrauen 1 – 3“, „Esszimmer“ oder eine „Verführungsszene“. Ihre distanziert-ironisierende Darstellung mündet in eine Reihe gestickter Bilder: vom Rasierer bis zum Videorecorder hat sie „Elektrogeräte“ in Faden auf Baumwolle festgehalten.

Bei anderen kommt der witzige bis schräge Blick auf die Wirklichkeit gedruckter oder elektronisch reproduzierter Bildwelten schon im Titel zum Ausdruck. „Will das Äffchen vielleicht eine Banane“ oder „Ich war zuerst da, nein ich“ heißt es bei Thomas Volkwein; in „Startvorbereitung“ erscheint ein kopfloser Dickbauch beim Hoch- oder Runterziehen der Jalousie. Michaela Braun hat mit Kugelschreiber und farbiger Modelliermasse auf Serviettenpapier „Nein, ich möchte Ravioli nicht essen“ gezeichnet, und ihre strahlende Hausfrau gesteht: „I love soft roses“. Die Gemälde, Zeichnungen und Lithographien von Clemens Schneider fallen etwas aus dem Rahmen. Er neigt zum Abstrakten, und zur Kalligraphie. Doch auch in seinen unruhigen Kompositionen kommen als Collage-Elemente Illustriertenschnipsel vor.Michael Nungesser