Drei kurze Salven durchs Fenster

■ Gesetzlose Zustände in Serbien: Verteidigungsminister Pavle Bulatovic beim Abendessen erschossen, Täter unbekannt. Opposition: Milosevic muss zurücktreten

Am Montag Abend ist der jugoslawische Verteidigungsminister, Pavle Bulatović, erschossen worden, als er in einem Restaurant friedlich sein Abendessen verzehrte. Über dem Tisch hing das Foto des jugoslawischen Präsidenten, seines politischen Alliierten Slobodan Milošević.

Unmittelbar nach dem Mord blockierten die Polizei, schwer bewaffnete Einheiten der Militärpolizei und Spezialeinheiten des Geheimdienstes den ganzen Stadtteil. Vergebens: Der oder die Attentäter waren verschwunden. Die jugoslawische Bundesregierung trat noch im Laufe der Nacht zu einer Sondersitzung zusammen, tat aber nicht mehr, als die Verdienste des verstorbenen Kollegen zu würdigen und zu erklären, er sei das Opfer eines terroristischen Anschlags geworden. Präsident Milošević schickte der Familie ein Beileidstelegramm.

Der Chef der oppositionellen Christdemokraten, Vladan Batić, nannte den Mord am Verteidigungsminister „tragisch und ein Zeichen dafür, dass in Serbien das Gesetz keine Macht hat“. Der Opositionelle Vuk Obradović forderte Milošević und seine Regierung zum Rücktritt auf. Sie hätten das Land zu einer „kriminellen Gesellschaft gemacht, in welcher sich niemand mehr sicher fühlen kann“. Es werde weitere Morde geben, weil sich die Regierung scheue, die organisierte Kriminalität entschieden zu bekämpfen.

Pavle Bulatović war von 1989 bis 1992 Innenminister Montenegros, danach ein Jahr lang Bundesinnenminister, seit 1993 Verteidigungsminister. Er galt als ein treuer Gefolgsmann Miloševićs. Der Montenegriner blieb loyal gegenüber seinem Präsidenten, trotz aller Autonomiebestrebungen in seiner Heimat. Während des Bosnienkrieges 1991 hielt er engen Kontakt zum bosnischen Serbenführer Radovan Karadžiać und dem General Ratko Mladić – beide sind gesuchte Kriegsverbrecher.

Die Umstände des Mordes weisen darauf hin, dass die Täter genau wussten, wie sich der Minister bewegte. Er war relativ früh, vor 19 Uhr, zum Abendessen in das Restaurant des Fußballklubs „Rad“ gekommen, der sich auf ehemaligem militärischen Gelände befindet und an das Areal der Offiziershochschule grenzt. Bulatović saß mit dem Rücken zum Fenster, dahinter das finstere Spielfeld der Fußballer. Eine Unvorsichtigkeit – zumal für einen ehemaligen Innenminister. Er war dazu noch ohne Leibwächter unterwegs, wähnte sich sicher, weil die Gegend von zahlreichen militärischen Posten bewacht wird. An ihnen vorbei, vielleicht sogar durch das Militärgelände, schlich sich der Mörder heran und feuerte zielgerecht drei kurze Salven aus einer Kalaschnikow. Sie trafen den Minister ins Herz. Er starb eine Stunde später im Militärkrankenhaus, das sich direkt gegenüber dem Restaurant befindet.

In Gesellschaft des Ministers speiste der Direktor der Yu-Garant-Bank, ein General im Ruhestand. Diese Bank ist aus dem „Militärischen Service“ hervorgegangen, das als Finanzinstitut die Armee und Rüstungsaufträge finanzierte. Der Bankchef, sowie der Chef des Restaurants, Mirko Knezević, wurden nur verletzt.

In Jugoslawien führt nicht der Minister, sondern der Generalstabschef die Armee im militärischen Sinne, der Minister hat vor allem mit Personalfragen, dem Militärhaushalt und der Rüstung zu tun. In der letzten Zeit verhandelte Minister Bulatović über solche Probleme mit Russland und China. Er gehörte zum „Koordinationskreis“, den Präsident Slobodan Milošević zu allen wichtigsten Fragen einzuberufen pflegt, zu dem aus der Bundesregierung nur der Premier, der Außen- und der Verteidigungsminister gehörte.

In Belgrad herrscht wegen des Attentats große Aufregung. Noch nie hat ein Anschlag ein Mitglied der Bundesregierung und unmittelbaren Mitarbeiter Milošević’ getroffen. Sofort gingen in Belgrad die wildesten Gerüchte um. Die „montenegrinische Mafia“, oder „rachsüchtige Kosovo-Albaner“ oder die „CIA“ hätten Bulatović umgebracht – das konnte man in Regierungskreisen hören.

Für die Opposition ist es dagegen selbstverständlich, dass Milošević hinter dem Attentat steckt, wer weiß, warum. Vielleicht weil Bulatović einen Militärputsch plante, oder sich in die Geschäfte anderer Minister mit Zigaretten oder Erdöl einmischen wollte. Das glaubt auch der montenegrinische Politanalyst Miodrag Vlahović.

Die Motive sind völlig unklar, und es sieht nicht so aus, als würde der Täter jemals gefasst werden. Die Menschen in Serbien sind einmal mehr verunsichert. Denn wenn der Verteidigungsminister neben einer Offizierschule einfach so abgeknallt werden kann, wer ist denn dann überhaupt noch sicher in Serbien?

Andrej Ivanji, Belgrad