Unbehagen der Schlächter

Race, class und genderbending im Farmhaus: Die Doku-Version von The Brandon Teena Story im Metropolis  ■ Von David Kleingers

Wer sich mit der Person Brandon Teena dokumentarisch auseinandersetzen möchte, stößt bald an die Grenzen einer vermeintlich objektiven Wahrheitssuche. Seit seinem gewaltsamen Tod am 31. Dezember 1993 ist die Biografie Brandons, der als Teena Renae Brandon geboren wurde und sich als Mann neu erfunden hat, zum Gegenstand vielfältiger, teilweise völlig gegenläufiger Interpretationen geworden. Welche widersprüchlichen Positionen werden zugunsten einer formalen und inhaltlichen Geschlossenheit geopfert, wann muss die Subjektivität der eigenen Perspektive thematisiert werden, und wo verläuft die mediale Grenze zwischen fiktionalen und nicht-fiktionalen Narrationen: Dies sind nur einige Fragen im Katalog eines kritischen Dokumentarismus, der sich eben nicht als autoritäre Authentizitäts-Maschine versteht.

The Brandon Teena Story von Susan Muska und Gréta Olafsdóttir sieht sich zudem mit der kuriosen Situation konfrontiert, dass die Produktion aus dem Jahr 1997 nun vielerorts als journalistische Nachreichung zum Spielfilm Boys Don't Cry begriffen wird. Der Dokumentarfilm also als simple Dienstleistung, quasi zur faktischen Verifizierung der fiktionalen Erzählung. So werden künstlerisch eigenständige Betrachtungen gegeneinander ausgespielt, wodurch die Diskussion einer möglichen genreübergreifenden Wahrhafigkeit wahlweise dem faktenhubernden Positivismus oder dem positionsfreien Relativismus zum Opfer fällt.

Aber Muska und Olafsdóttir versuchen in ihrem Film zu keinem Zeitpunkt, den eigenen Blick au-ßerhalb des unmittelbar Politischen zu situieren. Zunächst verfolgen sie linear den Werdegang Brandons: die Kindheit in den Trailerparks rund um Lincoln, Nebraska und die ersten, noch als präpubertäre Spielerei missverstandenen Versuche eines Identitätswechsels. Dann die Flucht nach Falls City, wo Brandon eine Liebesbeziehung mit Lana Tisdel eingeht. Deren Bekannte John Lotter und Tom Nissen werden ihn nach der Aufdeckung seines genderbendings zunächst vergewaltigen und kurze Zeit später in einem abgelegenen Farmhaus ermorden. Neben Brandon wurden am Tatort der „Humboldt Murders“ die Leichen von Lisa Lambert und Philipp DeVine gefunden, und zum Zeitpunkt der Dreharbeiten sind Nissen und Lotter bereits rechtskräftig wegen vorsätzlicher Tötung in drei Fällen verurteilt.

Der Film lässt diese rudimentäre Zeitleiste jedoch schnell hinter sich, um den Raum für andere Stimmen zu öffnen. Dabei kommen die Angehörigen der Opfer ebenso zu Wort wie Lana Tisdel, John Lotter, Tom Nissen, die Repräsentanten der Justiz und die Mitglieder der „Transsexual Menace“, die als eine der ersten Gruppen dem Fall eine Öffentlichkeit abseits spekulativer Sensationslust verschaffte. Geschickt werden die einzelnen Stellungnahmen mit archiviertem Bild- und Tonmaterial kontrastiert, wodurch sich fundamentale Diskrepanzen in den individuellen Wahrnehmungen, aber auch erstaunliche Übereinstimmungen offenbaren. So kann der Film der stumpfen, und von Freizeit-Soziologen gern perpetuierten Kausalität – uniform homophobe Hinterwäldler töten das irgendwie bedrohliche „Fremde“ und bestätigen so das Bild einer zwischen New York und San Francisco ideologisch völlig homogenen Sozial-Struktur – einen differenzierten Blick auf ein zutiefst gespaltenes Gemeinwesen entgegensetzen.

Genauso konsequent widersetzt sich der Film einer Ikonisierung Brandon Teenas, wohlwissend, dass die gutgemeinte Ausblendung vermeintlich negativer Aspekte nur die von den Tätern verfolgte Ent-Personalisierung des Opfers fortführt. The Brandon Teena Story braucht aber keine Gallionsfigur, um die Dringlichkeit seines Anliegens zu vermitteln. Denn es geht hier nicht nur um aufrichtige Sympathie für einen brutal beendeten Lebensentwurf, sondern auch um die notwendige Politisierung persönlicher Erfahrung. Da dies gelingt, kann die Dokumentation jenseits deterministischer Moral mit Kategorien wie gender, race und class operieren. Allein für das oft zitierte „tragische Schicksal“ gibt es in dieser Diskussion zum Glück keine Verwendung mehr.

The Brandon Teena Story: Fr, 11.2., 21.15 Uhr + Mo, 14.2. 19 Uhr + Mi, 16.2. 17 Uhr, Metropolis