Neue Regierung, neue Ausrichtung

■ Mit dem Fall Marschall schwenken Österreichs Zeitungen auf Koalitionskurs

Wien (taz) – „Wenn ich etwas zu sagen habe“, verkündete Jörg Haider 1993, dann werde „in den Redaktionsstuben weniger gelogen.“ Kein Wunder also, dass die Entlassung des Innenpolitik-Redakteurs der Oberösterreichischen Nachrichten (ÖNN), Gerhard Marschall, just am Tag der Angelobung der neuen Regierung damit in Zusammenhang gebracht wird, dass FPÖ-Chef Haider jetzt etwas zu sagen hat. Zumal Marschall schon 1999 von Haider als „links-grüner Journalist“ enttarnt wurde, bekannt dafür, „dass er Auftragsarbeiten besorgt“ – eine heute von Haider bestrittene Aussage, die Marschall aber per Tonbandmitschnitt belegen konnte.

Rudolf A. Cuturi, Herausgeber der OÖN, und Chefredakteur Hans Klöppl rechtfertigten den Rausschmiss mit dem Fehlen von „Überparteilichkeit, Äquidistanz und Objektivität“ in den Kommentaren des inkriminierten Kollegen: Die Unabhängigkeit der Zeitung habe auf dem Spiel gestanden. Cuturi bestritt später die in den Medien kolportierte Begründung, Marschalls Stil hätte bei den Lesern negative Reaktionen ausgelöst, „die angesichts der neuen politischen Situation nicht mehr tragbar“ seien. Die „Defenestration“ des erfahrenen Redakteurs erstaunte auch insofern, als Marschall wenige Wochen vorher von den Herausgebern „wegen seiner mutigen Haltung“ gegen einen Pakt mit der FPÖ noch gelobt wurde. Plötzlich sah Cuturi die Sache anders. „Marschall ist ein brillanter Journalist“, gab er im Fernsehen zu, „nur sein Stil passt mir nicht.“ Der sei einer Qualitätszeitung, als die sich die OÖN nun einmal betrachte, nicht angemessen. Und die hundert Leser, die nach dem Rausschmiss Marschalls ihr Abonnement gekündigt hätten, so rechnete Cuturi auf, täten weniger weh, als die 450 Abonnenten, die dem Blatt zuvor „mit Hinweis auf die politische Berichterstattung“ den Rücken gekehrt hatten.

Der Fall Marschall schlug Wellen, weil er mitten in die Krise um die Regierungsbildung platzte. Astrid Zimmermann, die Vorsitzende der Journalistengewerkschaft, entdeckte schon vorher „Anzeichen, dass der Rechtsruck Auswirkungen auf die österreichischen Medien hat“. In den Redaktionen herrsche überall große Verunsicherung.

Seit Haider als Landeshauptmann in Kärnten regiert, beobachten Leser der in Graz verlegten Kleinen Zeitung, Österreichs größter Regionalzeitung, eine Anpassung der politischen Linie. Auch in der ÖVP-nahen Tageszeitung Die Presse kann man beobachten, wie ein Teil der Redaktion von der anfänglich kritischen Haltung auf den Regierungskurs umschwenken will.

Im ORF herrscht schon lange großes Zittern vor einer politischen Wende. Der als feindlich empfundenen öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt will die Regierungskoalition mit der Zulassung und Förderung flächendeckenden Privatfernsehens und Privatradios begegnen und das als besonders links geltenden zweite TV-Programm ORF 2 privatisieren. Ein Ansinnen, das von ORF-Generalintendant Gerhard Weis entschieden zurückgewiesen wird: „Wenn man ORF 2 privatisiert, ist es mit dem Unternehmen vorbei – doch dafür ist eine Zweidrittelmehrheit im Parlament notwendig.“ Und die hat die Regierung nicht. Weis gibt zwar zu, dass manche Mitarbeiter „düstere Gedanken wälzen“, doch gibt sich standhaft: „Mit Sicherheit werden wir das Mäntelchen nicht nach dem Wind hängen. Das würde nämlich heißen, dass jene Recht haben, die behaupten, im ORF gäbe es Parteigänger, die die Aufträge einer der politischen Parteien erfüllen.“ Doch zahm genug ist der ORF ja schon: Bereits vor zwei Jahren wurde ein Redakteur gemaßregelt, weil er Jörg Haider bei einem Interview zu hart angepackt hatte. Ralf Leonhard