Cottbusser Antike-Vernichtung

Die „6. Zonenrandermutigung“ im Staatstheater Cottbus erweist sich schließlich nur als eine Zonenrandentmutigung. Drei Tragödien und ein Satyrspiel liefern Gründungsmythen

Der Krieg dauert lange, dauert weit über sein Ende hinaus, er setzt sich fort bis in die Generation der Kinder und der Kindeskinder

Die „6. Zonenrandermutigung“ in Cottbus handelt von der Gegenwart. „Kriege, massenhafte Fluchtbewegungen werden uns mit Sicherheit ins neue Jahrhundert begleiten“, schreibt die Dramaturgie im Pressematerial. Die Cottbusser spielen „Antike“, drei Tragödien, ein Satyrspiel. Der Viererpack umfasst den Zeitraum vom letzten Jahr des Trojanischen Krieges bis zur Mitte der rund ein Jahrzehnt währenden Irrfahrten der siegreichen Griechenkönige. Mythenmaterial, Gründungsstoff Europas, den der Kontinent noch immer nicht aufgezehrt hat. Der Krieg dauert lange, weit hinaus über sein Ende, er setzt sich fort bis in die Generation der Kinder und Kindeskinder. Diesen Gemeinplatz, dessen Design allabendlich in der „Tagesschau“ zu besichtigen ist, besetzt der für drei Inszenierungen verantwortliche Hausherr Christoph Schroth zu allem entschlossen. Er wird ihn den ganzen Abend über nicht mehr verlassen.

Bei Sophokles bekommt es „Aias“, nach Achilles erfolgreichster Schlächter der Griechen, vor Troja mit der Göttin Athene zu tun. Weil er es an Ehrerbietung hat fehlen lassen, schlägt sie ihn mit Wahnsinn. Im Glauben, er habe seine Intimfeinde, die konkurrierenden Heerführer vor seinen Waffen, schlitzt Aias eine umfängliche Tierherde auf; wofür Ausstatter Lothar Scharsich ein Bodentuch mit Theaterblut besudelt hat. Als Aias seinen fatalen Irrtum erkennt, fürchtet er Rache oder wenigstens, öffentlich lächerlich gemacht zu werden. Vergeblich flehen ihn Frau und Schiffsgenossen um seinen Schutz an, der Ehrenmann – „für einen guten Mann gibt es nur zweierlei: ein schönes Leben, einen rechten Tod, mehr nicht!“ – zieht es vor, sich mit dem Schwert zu durchbohren. Unterm Zeltdach von Scharsichs spiegelnder Alufolie geht’s elend zu. Dirk Glodde scheitert mit zusammengebissenen Zähnen am direktionsseitig falsch gewählten Heldenstück. Aias kennt Krieg und Sieg und Mannesruhm – Reflexion, flirrend leichte Transparenz, die Glodde seinen Figuren sonst zulegt, versagen ihm die Tragödie und Regisseur Christoph Schroth. Der Chor kämpft mit Getöse und abgezirkelten Gruppenrochaden um Beglaubigung seiner martialischen Kostümierung. Jede Aktion leuchtet ein, aber nichts wird lebendig.

„Hekabe“ und „Helena“ laufen parallel auf Vor- und Hinterbühne. Man muss sich entscheiden. Euripides begreift „Helena“ als Kolportage. Die Frau, um die in Troja gekämpft wird, war nie in der Stadt. Die Götter „entrückten“ sie nach Ägypten und setzten ein Double an ihrer statt. Recht besehen ein Skandalon, wurde der Krieg nach dieser Version doch bloß um ein Trugbild geführt. Antje Weber als Helena haust in einem blaugrünen Mausoleum mit umlaufendem Sehschlitz. Seit Jahren wartet sie mit Trench und gepacktem Koffer auf ihr Ehegespons Menelaos. Als der endlich, ziemlich zugrunde gerichtet auftaucht, muss er sich erst einmal über die Helena-Verdoppelung wundern. Wolf-Dieter Lingk gibt einen Oberdämlack mit wechselnden Anfällen von Eifersucht und Todesmut. Mit Hilfe der Tenonoe gelingt zuletzt die Flucht.

Regisseur Rudolf Koloc bietet einen Mädchen-Chor auf, Zicken in Goldlamé, und reichlich Klischees. Helena als kettenrauchende Flüchtlingsfrau, Tenonoe als antikes Girlie, das zum Zeitvertreib mit andrer Leute Tod spielt. Corinna Breite, schon in „Aias“ als riesig auf den eisernen Vorhang projizierte Athene ein Ereignis, überzeugt mit kleinen Gesten holdseliger Kaltschnäuzigkeit. Stark auch Antje Weber im nervösen Genervtsein der miserabel beleumundeten Frau. Als Leidende gleitet sie aber ins Ungefähre ab. Der Rest ist Charge mit Revolverdampf. Am Ende steht Euripides’ „Kyklop“, die bekannte Odysseus-Geschichte von der Blendung des einäugigen Riesen Polyphem. Aber statt Dialektik der Aufklärung gibt’s hier nur Bauerntheater zum Haareausraufen. Zonenrandermutigung? In Cottbus handelt es sich um eine einzige anstrengende Mutlosigkeitsdemonstration. Niko Merck