: Dämon Dope
Ron Mann dokumentiert in „Grass“ die US-Paranoia vor Marihuana (Panorama)
Die ersten Entwürfe für die amerikanische Unabhängigkeitserklärung wurden auf Hanfpapier geschrieben. Thomas Jefferson baute es an, George Washington ebenfalls. Letzterer riet seinem Volk gar: „Make the most of the hemp seed. Sow it everywhere!“ Genützt hat das alles nichts. Bis heute wollen die meisten amerikanischen Politiker keinen Staat mit der grünen Pflanze machen und führen mit viel Aufwand und Billionen von Dollar Krieg gegen sie.
Ein Fall für den amerikanischen Dokumentarfilmer Ron Mann. Nach seiner kleinen Comic-Kulturgeschichte „Comic Book Confidential“ (1989), in der es unter anderem um Comic-Verbrennungen und Zensurerlasse ging, zeigt er nun mit „Grass“, was amerikanische Politiker im 20. Jahrhundert alles taten, um Marihuana zu dämonisieren. Und weil das vor allem absurd, grotesk und komisch ist, hat Mann auch keinen übelgelaunten Aufklärungsfilm gedreht, sondern einen unterhaltsamen achtzigminütigen Videoclip: Musikalisch begleitet von haufenweise Drogensongs, wechseln sich in „Grass“ in schneller Schnittfolge alte Fernsehbilder, schön anzuschauende Trickfilmsequenzen und Schnipsel aus Aufklärungs-, Dokumentar- und Spielfilmen ab.
Da schießen sich dann Cowboys im Marihuanarausch gegenseitig von den Sätteln, da brennen in den Dreißigern amerikanische Polizisten Hanffelder nieder, da wird 1937 feierlich und mit großem Brimborium das „Marihuana Tax Stamp Act“ erlassen. Und so wie es im Laufe der Jahre wahlweise hieß, Marihuana mache aggressiv, dumm, lethargisch, desinteressiert, impotent usw., so sind es zuerst mexikanische Landarbeiter, dann Kommunisten und später die Hippies, denen mit Marihuanagesetzen zusätzlich das Leben schwer gemacht wird.
Nachdem Mann aber die Hippies und Woodstock abgehakt hat – Pot macht die einen eben glücklich, die anderen nunmal nicht – mutiert sein Film am Ende zu reinem Slapstick. Da sieht man die Pflanze und ihre User vor lauter Präsidenten nicht mehr, wenn im Schnelldurchlauf vorbeiziehen: Nixon mit seinem Drogenbeauftragten Presley; Ford, wie er von der Gangway fällt; dann der sanfte und verständnisvolle Carter, später die beiden Hardliner Reagan und Bush (von Clinton übrigens keine Spur). Das ist ein bisschen wie Peter Scholl-Latour in Martin Baers Film „Befreien Sie Afrika“ über kannibalistische „Neger“ im Kongo reden zu hören oder von Harald Schmidt Polenwitze erzählt zu bekommen: Man ist entsetzt, lacht aber trotzdem, man hat seinen Spaß, aber keinen Mehrwert.
So bleibt einem nach „Grass“ auch nichts anderes übrig, als noch eine Tüte mehr zu rauchen und vielleicht ein Stück der amerikanischen Kifferrappers Cypress Hill zu hören. Vielleicht „Confessions of a drug addict“, am besten aber: „I wanna get high“.
Gerrit Bartels
„Grass“. Regie: Jon Mann, Kanada, 79 Min.; heute, 17 Uhr Cinemaxx 7 und 17.45 Uhr Cinemaxx 8; 12. 2., 20.15 Uhr Cinemaxx 7.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen