Ein Liebeslied
: „Der Trauernde und die Elfen“ (1804)

Gerade einmal 26 Jahre alt ist sie geworden, die Dichterin Karoline von Günderode. 1780 in Karlsruhe geboren, gestorben 1806 im Rhein. Auf jeden Fall kehrte sie von einem Spaziergang nicht zurück, ihre Leiche wurde im Fluss gefunden. Man möchte hoffen, ein männlicher Wasserelf habe sie hineingezogen, hungrig nach Liebe, und somit ungewollt ihr unglückliches Leben beendet.

Das würde zur Grenzenlosigkeit des Gefühls in der deutschen Romantik gut passen. Aber es ist wohl eher anzunehmen, dass die Dichterin, die unter dem Pseudonym Tian drei Bändchen mit Gedichten, Phantasien und poetischen Fragmenten veröffentlichte, sich selbst das Leben nahm. Dies nach zwei unglücklichen Liebesgeschichten mit Clemens von Brentano und dem Altphilologen Georg Friedrich Creuzer.

Schwer und auf eigenartige Weise leicht sind ihre Liebesgedichte, klangvolle Liebesgesänge, die im Wahnsinn enden, so „Der Trauernde und die Elfen“, wo der unglückliche Knabe am Grab seiner Geliebten fröhlich mit den Elfen tanzt: „Und über seiner Braut Gebein / Schlingt sich der lust’ge Elfenreihn.“ Oder sehnsuchtsvoll und tieftodtraurig wunderschön wie „Zilia an Edgar“: Ein Liebeslied hallt ungehört über das offene Nordmeer. Tränen rinnen auf Islands schwarzen Küstensand, Nebel sinken, die See schäumt, der Nordwind stürmt. Doch Edgar kehret nimmer nimmer mehr zurück. Nur Widerhall seufzt mit am Meeresstrande, wohl ein Echo der Meermännlein, der lokalen Wassergeister im Robbenfell.

Lange Nächte werfen ihre Trauerschatten über Meer und Land. Island im Winter. Tannen wiegen sich im „hohlen Winde“. Wobei zu erwähnen ist, dass die Tanne keineswegs zur isländischen Flora zählt. Die erste seriöse isländische Landeskunde von Eggert Olafsson in einer weimarischen Übersetzung war zu Carolines Zeit gerade erst erschienen.

Für den poetischen Klagegesang einer Frau über unerfüllte Leidenschaft war die Polarinsel gerade die richtige Wahl: fern, exotisch, unbekannt und doch irgendwie zu Europa zählend. Unerreichbar vor allem. Die ersten Berichte von nach Island reisenden Frauen stammen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts.

„Wer Töne öffnet euer Kerker Riegel? / Und wer entfesselt eure Ätherflügel?“ fragt Karoline von Günderode in „Die Töne“, in denen alles klingt, singt, jauchzt, flüstert und haucht aus einer schmerzverzehrten und liebeskranken Nachtigallenbrust. Doch wie gesagt, Edgar kehret nimmer nimmer nimmer mehr zurück.

Wolfgang Müller