„Dieses Extreme liegt mir“

Heftige Eifersucht und unüberwindbare Kulturunterschiede haben sie kennen und fürchten gelernt. Nach mehreren deutsch-türkischen Beziehungen kreuzten sich vor zweieinhalb Jahren die Wege von Mustafa Mete, 35, und Patricia Enz, 26. Sie ist deutsch-korrekt, er südländisch-locker. Jetzt betreiben sie in Berlin-Kreuzberg eine Cocktailbar und erwarten Ende März ein Kind Von Barbara Bollwahn de Paez Casanova

Im CD-Regal behaupten sich Tarkan gegen Mozart und Sezen Aksu gegen Schubert. Im Kühlschrank konkurriert deutsches Schmalz mit türkischem Käse. Die gebürtige Berlinerin und diplomierte Biotechnologin kann nicht schlafen, wenn nicht alle Rechnungen pünktlich bezahlt sind. Mustafa, der in Istanbul geboren wurde und später mit seinen Eltern zwischen Istanbul und Berlin pendelte, nimmt vieles auf die leichte Schulter.

Mustafa über Patricia: Ich liebe diese Frau, wie sie ist.

Patricia über Mustafa: Mustafa ist mein Traummann.

Glück spielt in ihrer Beziehung eine große Rolle. Ausgerechnet auf einem internationalen Kongress von Toto- und Lottogesellschaften in Berlin sind sie sich vor zweieinhalb Jahren über den Weg gelaufen. Sie arbeitete als Hostess, er machte die Kongresszeitung.

Patricia: Als ich den ersten Tag da war, gab es nur Kostüme in Größe 40, und ich habe Größe 36. Weil ich mir blöd vorkam in so einem großen Kleid, habe ich mir gegen Abend ein neues geholt. In der Kammer, wo die Sachen waren, saß Mustafa am Laptop und schrieb. Ich fand ihn ganz sympathisch. Er fragte mich, ob er rausgehen soll, damit ich mich umziehen kann. Ich sagte nee. Deshalb erzählt er gerne, wir lernten uns kennen, als ich einen Striptease machte. Dabei habe ich nur auf meine Menschenkenntnis vertraut. Mir gefiel die witzige Art, wie wir uns unterhalten haben. Ich habe das nicht gemacht, um ihm zu gefallen. Das war noch kein Thema. Er hat sich zuerst in mich verliebt und um mich geworben. Anfangs war ich noch unentschieden. Ich war noch nicht ganz frei von meiner letzten Beziehung. Gekriegt hat er mich, als ich für eine Woche in der Schweiz war. Wir hatten miteinander telefoniert, und er hatte mir gesagt, dass ein Freund aus Freiburg im Nachtzug von Basel ein Buch für ihn hinterlegen würde und dass ich das Päckchen für ihn abholen soll. Als ich an den Nachtschalter kam, stand er da und drückte mir eine Kassette in die Hand, auf der stand „Päckchen aus Freiburg“. Auf der Kassette war Jazzmusik. Es gibt wenige Deutsche, die solche Ideen haben.

Patricia war schwer beeindruckt, dabei hatte Mustafa nur das getan, was er immer bei Frauen macht, die ihn interessieren.

Mustafa: Man muss sich um sie bemühen. Wenn man sich um eine türkische Frau bemüht, wird das einfach hingenommen. Nordeuropäische Frauen honorieren das viel eher.

Es heißt, die Liebe könne Berge versetzen. Weil es in und um Berlin herum aber recht flach ist, müssen Mustafa und Patricia diesen Beweis nicht erbringen. Ihnen bleiben aber die Niederungen des Lebens, die es viel mehr in sich haben können als Dreitausender.

Patricia: Ich denke mehr über die Sachen nach und plane mehr. Ich kann mit unbezahlten Rechnungen nicht schlafen. Bei ihm ist alles hoppla hopp. Aber mir gegenüber ist er sehr zuverlässig.

Mustafa: Patricia ist kühler und distanzierter. In meiner Kultur können Menschen zu jeder Tages- und Nachtzeit kommen, ohne Anmeldung. Ich lasse Dinge schleifen und mache alles nach meinem Zeitplan. Sie gerät in Panik, wenn Dinge nicht sofort passieren. Warum soll ich jetzt schon die Gardinenstangen anbringen, wenn das Baby erst in zwei Monaten kommt? Aber wenn Patricia nicht wäre, würde ich im Chaos versinken.

Während Mustafa bestens mit seinen deutschen Schwiegeltern in spe auskommt, hat Patricia so ihre Probleme mit den Gepflogenheiten in Mustafas Elternhaus.

Patricia: Mustafa sagt immer, ich würde seine Eltern nicht mögen. Das stimmt nicht, ich mag sie. Aber es widerstrebt mir, mich vor jemand zu verneigen. Seine Mutter war etwas pikiert, als ich ihr nicht die Hand geküsst habe. Und sie redet immer ein komisches Türkisch mit mir. Wie jemand, der mit einem Ausländer spricht. Das ist ärgerlich. Dafür habe ich nicht fünf Jahre die Sprache gelernt.

Mustafa: Ich möchte, dass die Beziehung zu meinen Eltern stimmt. Wenn meine Mutter beleidigt ist, weil Patricia ihr nicht die Hand küsst, muss ich ihr das erklären. Ein bisschen Opportunismus wäre manchmal nicht schlecht. Ich habe acht Jahre mehr auf dem Buckel als sie und mehr Lebenserfahrung. Aber Patricia ist sehr geradlinig – was ich auch sehr schätze. Ich gehe davon aus, dass man vom Partner nichts erwarten darf, dann wird man nicht enttäuscht. Das ist die einzige Möglichkeit für eine bikulturelle Beziehung. Wenn sie beginnt, Zugeständnisse zu machen, nimmt sie eine unterwürfige Haltung ein. Dann nehme ich sie irgendwann nicht mehr ernst.

Patricia hat ihre Liebe zur Türkei lange vor Mustafa entdeckt. Drei Beziehungen mit türkischen Männern, fünf Jahre Türkisch an der Volkshochschule, diverse Rucksackreisen vor Ort. Extreme Eifersucht hat sie dabei hassen und die Wärme der Männer lieben gelernt. Mustafa, seit 1990 ununterbrochen in Deutschland, hat zwei gescheiterte Beziehungen mit deutschen Frauen hinter sich.

Patricia: Mustafa hat zum Glück nicht diese extreme Eifersucht aus übermäßiger Liebe. Was ihnen allen gemeinsam ist, ist dieses warme Sich-umeinander-Kümmern. Türkische Männer kümmern sich anders um Frauen und sind schneller extrem überzeugt von der Liebe. Dieses Extreme liegt mir auch. Das Gefühlsmäßige ist stärker ausgeprägt.

Mustafa: Früher haben mich die Kulturunterschiede gestört. Heute ist es kein Ding für mich, wenn Patricia bei meinen Eltern nach dem Essen nicht mit abwäscht. Heute ist mir eine harmonische Beziehung wichtiger. Ich bin hier in der Diaspora und habe meine Sozialisation in der Türkei erlebt. Ich habe mir dieses Land ausgewählt und muss mich nach den Spielregeln hier verhalten.

Patricia glaubt, dass sie in einer größeren Stadt in der Türkei leben könnte. Für eine Weile zumindest. Mustafa könnte sich mit ihr nur ein westlich orientiertes Land vorstellen.

Patricia: Türkische Frauen sind bestimmt auch widerborstig.

Mustafa: Patricia ist manchmal undiplomatisch im Umgang mit Leuten und versucht, ihren Kopf durchzusetzen. So ein Verhalten würde man bei uns auf die deutsche Abstammung schieben. Es gibt ein Sprichwort: Wenn dir jemand hundertmal sagt, du bist verrückt, dann glaubst du es irgendwann. Wenn dir also die Leute sagen, deine Frau verhält sich nicht richtig, glaubst du es irgendwann.

Die Suche nach dem Namen für ihr Kind war einfach – was den Vornamen betrifft. Beim Familiennamen gingen die Meinungen schon wieder auseinander.

Patricia: Wir wissen, dass es ein Junge wird. Er soll Canyücel Leonard heißen. „Can“ heißt Leben, Seele. „Yücel“ heißt erhaben, hoch. Es gab einen türkischen Dichter mit dem Namen, der sehr schöne Liebesgedichte schrieb und regimekritische Sachen. Den Namen hatten wir schon vor der Zeugung gefunden. Das Kind wird meinen Familiennamen tragen.

Mustafa: Das war schon ein Streitthema. Weil zwei Doppelnamen nicht gehen und ich meinen Nachnamen nicht aufgeben will, behält jeder seinen. Meinen Namen abzulegen würde meine Familie zutiefst verletzen und sie zum Gespött der türkischen Gemeinde in Berlin machen. Das kann Patricia nicht nachvollziehen. Ich ganz privat sehe das leidenschaftslos, aber ich denke an meine Familie. Wenn ich den Mililtärdienst machen müsste, wäre ich mit einem deutschen Namen ein Vaterlandsverräter. Dass unser Kind ihren Familiennamen tragen wird, ist kein Problem für mich.

Die Wohnung von Patricia und Mustafa sieht eher deutsch aus. Das türkische Keramikset im Regal könnte aus einem Bosporusurlaub stammen. Die CDs bekannter türkischer Sänger und Sängerinnen dürften in einer Stadt wie Berlin wenig überraschen.

Patricia: Außer der Musik und der Vorliebe für das Land gibt es nichts speziell Türkisches bei uns. Ich bin eher die, die türkische Musik anmacht. Mustafa liebt diesen weißen Krümelkäse, der mir wie die Urform des Käses vorkommt. Den mag ich nicht.

Mustafa: Ich habe ein Nomadenleben hinter mir. Unsere Wohnung soll funktionell sein, und beide sollen sich wohl fühlen.

Mustafa glaubt an Gott. Patricia hat mit Religion nichts am Hut.

Patricia: Mustafa sind Dogmen unwichtig. Das ist ganz wichtig in einer deutsch-türkischen Beziehung.

Mustafa: Ich bin Alevit. Man darf seine Religion keinem aufzwingen. Nur bestimmte Grundsätze wahren wie gottgefällig leben, nicht betrügen, nicht lügen.

Patricia kleidet sich gern „offenherzig“ und glaubt, Mustafa habe damit Probleme. Doch letzten Endes ist es nur eine Geschmacksfrage.

Patricia: Es stört ihn, wenn gläubige Türken denken, was ist das für eine Schlampe. Einmal hatte ich eine Hose an, wo hinten der Schlüpfer zu sehen war. Wir hatten keinen großen Streit, aber diskutiert. In der Türkei ziehe ich mich anders an, da trage ich lange Röcke und die Haare zusammengebunden.

Mustafa: Man kann sich freizügig kleiden, wenn es stilvoll ist. Aber gewisse Frauen, wo der Stringtang aus der Hose guckt, wenn sie sich bücken, das ist einfach peinlich.

Auch am Humor scheiden sich gelegentlich ihre Geister.

Darüber lacht Mustafa:

Klein Ali kommt in die Küche und sieht, wie sich der Vater auf der Küchenbank über die Mutter hermacht. Er läuft ins Schlafzimmer, wo die Großmutter schläft und besteigt sie. Kommt der Vater rein und schreit: „Was machst du?“ Antwortet Klein Ali: „Wenn du ficken meine Mutter, ich ficken deine Mutter.“

Das findet Patricia witzig:

Warum sind türkische Männer so klein? Weil die Eltern ihnen sagen, dass sie arbeiten müssen, wenn sie groß sind.

Mustafa über Patricia: Sie ist das Beste, was mir bisher passiert ist.

Patricia über Mustafa: Ich kann mir keinen besseren Papa für mein Kind vorstellen.

Barbara Bollwahn de Paez Casanova, 35, ist Redakteurin in der Berlinredaktion der taz und mit einem Argentinier verheiratet. Ihre Lieblingsblumen sind Tulpen. Aber schön schlicht müssen sie sein, dann ist die Farbe fast egal