Das Ende einer Schiffsfahrt

Bangladesch ist alles andere als ein Urlaubsland. Der Slogan „Come before the tourists come“ soll Urlauber an verlorene Strände locken ■ Von Stephanie von Oppen

Von den muslimischen Glaubensbrüdern ausdem angrenzenden Birmawill man nichts wissen

Aus dem schwarzen Schlick ragen Schiffsskelette. Auf ihnen sind dunkle Gestalten am Werk. Eine Säge kreischt und spuckt blaugelbe Funken, während sich ihre Zähne durch Metall fressen. Bei der Hafenstadt Chittagong im Süden Bangladeschs werden Ozeanriesen zerlegt: Für Bananendampfer, Öltanker, Frachtschiffe und Luxusliner aus aller Welt hat hier die letzte Stunde geschlagen. Im Golf von Bengalen endet ihre jahrzehntelange Odyssee über die Weltmeere. Mit der Flut werden die Schiffe nah ans Ufer gespült. Ein kompliziertes Manöver verhindert, dass sie umkippen, und wenn das Wasser wieder abläuft, stecken die Giganten fest. Über viele Kilometer sieht man sie von der Straße am Strand liegen.

Zuerst wird alles, was nicht niet- und nagelfest ist, von kleinen Händlern gekauft und abtransportiert: Möbel, Kloschüsseln, Ankerketten, Spielkarten, Uhren und Geschirr. Die Hauptstraße von Chittagong ist von zahllosen Läden gesäumt, die solche Waren anbieten. Die Filetstücke unter den Gegenständen landen allerdings in den Antiquitätenläden der Hauptstadt Dhaka. Dort sitzen auch die Eigentümer der Schiffe. Der Schrotttransfer ist ein Millionengeschäft: Reeder in den Industrienationen, die das Entsorgen ihrer Schiffe im eigenen Land teuer zu stehen käme, verkaufen die ausgedienten Modelle für gute Dollar an Geschäftsleute in einem Entwicklungsland wie eben Bangladesch. Dort lässt sich ohne weiteres ein Heer von billigen Arbeitern anheuern, die als Totengräber die Drecksarbeit für zwei drei Dollar am Tag erledigen. Ist der Koloss ausgeschlachtet, wird er in zwei Hälften gesprengt und mit Eisensägen in seine Einzelteile zerlegt. Das Eisen wird für die Industrie wieder aufbereitet. Auf den Überresten der Wracks führen Männer, oftmals Jungen, ohne Gesichtsschutz und mit bloßen Händen die schweren Sägen. Weit unter ihnen stapfen Scharen von Anwohnern durch den öligen Morast und sammeln in der Abenddämmerung Krebse und kleine Fische. Der Strand ist übersät mit Schrott – hier stolpert man über eine rostige Kette, dort stakt plötzlich eine Schiffsschraube aus dem Sand. Die meisten der Arbeiter sind barfuß. Ihre mageren Körper stecken in dreckigen Lumpen, die Gesichter ölverschmiert. Aufseher, denen der Schlagstock locker in der Hand sitzt, wachen über ihre Arbeit.

Am Strand von Chittagong wird aber nicht nur das Problem der Verschrottung gelöst, sondern auch die Entsorgung umweltschädlicher Substanzen wie Altöl und Benzin, die sich in den Schiffsbäuchen gesammelt haben. In Bangladesch kann der Dreck ungehindert in den Golf abfließen. Da spielt es keine Rolle, dass kaum hundert Kilometer weiter das Ferienparadies des Landes beginnt: Cox’s Bazar, laut Broschüre „einer der schönsten Touristenorte der Welt“.

Das letzte Stück Straße zwischen Chittagong und Cox’s Bazar gleicht einem staubigen Streifen Mondlandschaft. Seit Jahren wird daran gearbeitet, doch immer wieder machen heftige Regengüsse in der Monsunzeit die Arbeit wieder zunichte. Bis vor gar nicht langer Zeit war es besonders nachts gefährlich, sich auf dieser Straße zu bewegen. Immer wieder kam es zu Überfällen von bewaffneten Rebellen aus den nahen Chittagong Hill Tracs. In den Wäldern dort hatten sich die Partisanen verschanzt, um für die Rechte der Ureinwohner der Hill Tracs zu kämpfen. Die seit 1996 amtierende Regierung der Awami-Liga konnte einen Friedensvertrag aushandeln. Seitdem hat sich die Lage deutlich entspannt.

Cox’s Bazar, das Urlauberparadies, gehört zu den am häufigsten von Stürmen heimgesuchten Gegenden Bangladeschs. Kaum eine Monsunzeit vergeht, ohne dass über diese Region ein gewaltiger Taifun hinwegfegt und tausende von Häusern und Menschen mit sich reißt. Hier also soll der 120 Kilometer lange weiße Sandstrand entlang am Golf von Bengalen die Feriengäste anlocken. Für sie hat die Regierung eine Ferienburg an den Strand setzen lassen. Das andere vornehme Hotel am Platz buhlt in der Stadt um Gäste. Ein Swimmingpool, Restaurants und komfortable Zimmer laden zum Erholen ein. Hinter dem Hotel ducken sich ärmliche Hütten. Zwischen der Rückwand des Gebäudes und einem verkrüppelten Baum sind Kleidungsstücke zum Trocknen aufgehängt. Verlässt man das Hotel zum Strand, schlägt einem der Gestank von Abfällen entgegen. Für ein paar Taka am Tag lassen sich in der Nähe des großen Strandhotels Liegestühle mieten. Dort hält ein Hotelangestellter den Sonnenbadenden Schaulustige von der Pelle. Baden im Meer in Stadtnähe ist ein etwas zweifelhaftes Vergnügen, denn keiner weiß so ganz genau, wohin die Abwässer der Stadt geleitet werden. Vor der Küste bei Cox’s Bazar liegt eine große Insel – Maheshkali. Schon aus der Ferne sieht man am Strand zwischen Palmen die Betonklötze auf mächtigen Pfeilern – so genannte Cycloon-Shelter, Schutzräume, die für die Bevölkerung errichtet wurden, denn auch Maheshkali ist jedes Jahr von neuem den Sturmfluten ausgesetzt. Dennoch ist die Insel dicht besiedelt.

Über einen langen Steg lässt sich das Festland von Maheshkali erreichen. Die Wege auf der Insel bestehen aus festgetretenem Lehm. In der Monsunzeit verwandeln sie sich in eine Schlammwüste. Jetzt sitzen Fisch- und Gemüsehändler an der Hauptstraße, die so schmal ist, dass sich selbst ein einzelner Rikschafahrer nur mühsam hindurchzwängen kann.

Fisch ist die Hauptnahrungs- und -einkommensquelle auf Maheshkali. Die Hütten aus Bambus sind mit einfachem Reisstroh gedeckt. Sie sind nicht für die Ewigkeit gebaut. Wie oft die Einheimischen ihre Hütten wohl schon wieder aufgerichtet haben? Die einzigen Behausungen, die dem Sturm und dem Wasser dauerhaft trotzen, sind der buddhistische Tempel in der Dorfmitte, der Hindutempel auf dem Berg und jene Schutzräume. Die Präsenz von Buddha erinnert an die Nähe zum buddhistischen Birma. Riesig und ruhig verharrt der goldene Buddha im Lotossitz unter dem Tempeldach. Auch die duftgeschwängerten, reich geschmückten Räume des Hindutempels vermitteln das Gefühl tröstlicher Beständigkeit. Die weniger dekorativen Schutzräume sind auch zwischen den Monsunzeiten belebt. Hier werden Kinder in Bengali unterrichtet, dort haben sich Frauen versammelt, die sich im Fall eines Katastrophenalarms um die Koordination kümmern. Sie planen zukünftige Einsätze und bereiten andere Inselbewohner auf den Ernstfall vor.

Wenn die Fluten kommen, sind es die Frauen, die das Megafon in die Hand nehmen und Anweisungen erteilen. Sie arbeiten nach einem ausgeklügelten System. Uralte Erfahrungen mit den Wassermassen sind darin eingeflossen. Die Frauen wissen: In Bangladesch kann man nicht gegen das Wasser arbeiten, sondern man muss mit dem Wasser leben.

In Bangladesch kannder Dreck aus den Schiffsbäuchen ungehindertin den Golf abfließen

Der Weg von Cox’s Bazar gen Süden führt durch Reisfelder und kleine Dörfer. Weiter im Osten erheben sich schon die Bergketten von Birma. Plötzlich tauchen Ansammlungen von Hütten auf – aus Bambus und blauen Plastikplanen. Dies sind die Lager des UNHCR (United Nations High Commissioner for Refugees). Anfang der Neunzigerjahre flüchteten zahllose Muslime aus dem buddhistischen Birma nach Bangladesch, weil ihnen als Nichtbuddhisten die Bürgerrechte entzogen wurden. Eine Flucht vom Regen in die Traufe. Bangladesch will bis heute von den muslimischen Glaubensbrüdern nichts wissen. Versuche des UNHCR, die Flüchtlinge einzubürgern, waren bisher nicht erfolgreich. Tausende wurden inzwischen mehr oder weniger freiwillig „repatriiert“, zurückgeführt. Wie es den zurückgekehrten Muslimen in Birma ergeht, weiß keiner genau. Weitere Repatriierungen gehen schleppend voran, die birmesische Regierung stellt sich quer. In den beiden Lagern Kuto Palong und Naja Para leben noch 21.000 Flüchtlinge. Manche schmoren dort schon seit Jahren, ohne Arbeit, ohne Perspektive.

Heute herrscht Stille am „repatriation point“, denn es ist Freitag. Die Holzhütten und der Steg, über den sonst die Rückkehrer zu den Booten laufen, liegt verlassen. Nur ein Boot tuckert über den Grenzfluss. Die Straße führt weiter nach Technaf, einem völlig verkommenen und vergessenen Nest. Einzige Attraktion ist ein alter Brunnen, um den sich eine Legende spinnt. Man sagt, eine schöne Bengalin habe sich in ihm ertränkt, weil ihr Geliebter, ein englischer Polizeioffizier, sie auf Geheiß seines Vaters verlassen hatte und nach Kalkutta zurückgekehrt war. Die Polizeistation befindet sich immer noch direkt neben dem Brunnen. Fünf Polizeibeamte sitzen unter altersschwachen Ventilatoren hinter Bergen von staubigen Akten und schlagen die Zeit tot. Teil der Polizeistation ist eine Art Käfig, in den man etwa zehn Männer gepfercht hat – Untersuchungshäftlinge. Ab und zu kommen Besucher vorbei und reichen ihnen Zigaretten durch die Gitterstäbe.

Von dort führt ein unwegsamer Pfad voller Schlaglöcher an die Südspitze von Bangladesch. Endlich taucht ein kleines Fischerdorf am Strand auf. Hier ist der Sand wirklich fast weiß und unberührt. Im Dorf backt ein Fischer über dem offenen Feuer Chappati, dünne Fladenbrote, und serviert sie mit frischem Kochfisch. Vor seiner Holzhütte hat er ein paar Bänke aufgestellt. Dort im Schatten zu sitzen, mit dem Gefühl, einfach „weit weg zu sein“, gibt den vergilbten Plakaten, die in den Regierungshotels von Bangladesch hängen, Recht: „Come to Bangladesh before the tourists come“.