Berlinale: Mein großer Favorit
Wie es einem geht, der vom zerstörten Belgrad direkt in die Filmfestspiele gerät
Gut 48 Stunden vor dem Beginn der 50. Berliner Filmfestspiele bin ich von einem 14-tägigen Recherchereise in Restjugoslawien zurückgekommen. Trotz der Nato-Luftangriffe im letzten Frühling und dem Durcheinander der Ruinen auf den berühmten Zentralboulevards der Stadt ist das verarmte Belgrad dieser Tage erstaunlich heiter und fröhlich. Nun also Berlin. Hier geht es ernster zu.
Der internationale Filmzirkus ist in vollem Gange. Glanz und Glitter auf dem Potsdamer Platz. „Leo!, Leo!, Leo!“, kreischen die Jugendlichen, die gegen die Absperrgitter drücken; und sie springen auf und ab bei jedem Wort, das ihr milchgesichtiges Hollywood-Idol von sich gibt – Leonardo DiCaprio. Sein Zahnpastalächeln erstrahlt auf der Übertragungswand des Kinokomplexes. Nach der Vorführung des Films „The Beach“ von Danny Boyle im Wettbewerb, in der er die Hauptrolle spielt, beantwortet Leo Fragen auf einer Pressekonferenz.
Gedreht wurde auf paradiesischen Inseln in Südostasien, die Dreharbeiten waren deshalb für Leo nicht übermäßig anstrengend, „Raus aus dem Wasser, Text proben, Szene drehen und dann wieder direkt ins Wasser!“, witzelt er. Die Fans quieken vor Freude, in ihren Köpfen unser All-american-Sunnyboy, wie er tropfend aus den Wellen steigt. Festspielchef Moritz de Hadeln schaltet sich plötzlich ein. „Leonardo ist nicht der einzige Schauspieler des Films, der hier anwesend ist!“, sagt er gereizt. Prompt fragt ein amerikanischer Kritiker mit öliger Stimme. „Mr. DiCaprio, wie schwer war die Rolle für Sie?“
Bono, der Sänger von U2, hat sich nach der Vorführung von Wim Wenders „The Million Dollar Hotel“ zur Eröffnung der Berlinale ins Berliner Nachtleben gestürzt und sonnt sich im Glanz der vielen Komplimente, die er für die Filmidee erhält. (Manche wünschen, er wäre nie auf die Idee gekommen.)
Leos und Wims Film werden den Goldenen Bären wohl nicht bekommen. Aber hat ein armes und geächtetes Land wie Serbien, wo immer noch eine Filmindustrie existiert, eine Chance, ihn zu gewinnen? Natürlich. Ich erwärme mich für den Wettbewerbsfilm von Ljubisa Samardzic, „Nebeska Udica“, der eine Woche während der Nato-Luftangriffe auf Belgrad zeigt.
Ein Paar bemüht sich, seinen Sohn vor dem psychologischen Terror der Bombenangriffe zu schützen. Als die Mutter und ihr Sohn Ausreisevisa für Italien erhalten, beschließt der Vater, im Land zu bleiben, und wird in einem Bunker getötet. Der Film, letzten Sommer gedreht, fängt den störrischen Geist, den Trotz, den Humor und die tragische Seite des serbischen Volkes ein. Er verdient Anerkennung in Berlin. Clive Freeman
Der Autor, seit über 30 Jahren in Berlin, schreibt für britische und US-Zeitungen.
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