Fischsterben nach Zyanid-Welle

Nach Rumänien und Ungarn ist jetzt auch Serbien von der größten Umweltkatastrophe der Region bedroht. Trinkwasserversorgung bleibt gefährdet ■ Von Keno Verseck

Berlin (taz) – „Die größte Umweltkatastrophe seit Tschernobyl“ – so sehen Umweltexperten den Zyanid-Giftunfall, der nach Rumänien und Ungarn nun auch Serbien bedroht. Am Wochenende erreichte die aus einer Goldfabrik in Rumänien kommende, kilometerlange Zyanid-Welle nordserbisches Gebiet und verursachte ebenso wie in Ungarn ein massenhaftes Fischsterben. In Ungarn sprechen Umweltexperten mittlerweile von einer Zerstörung des gesamten Ökosystems in der Theiß, dem zweitgrößten Fluss des Landes. Auch die Trinkwasserversorgung für die Bevölkerung ist in einigen Landesteilen gefährdet. Die australische Betreiberfirma der Goldfabrik hat die Verantwortung für die Giftkatastrophe abgelehnt.

Verursacht haben den Unfall vor zwei Wochen zyanid- und schwermetallhaltige Giftschlämme, die aus einer beschädigten Kläranlage der nordwestrumänischen Goldfabrik „Aurul“ in der Stadt Baia Mare über mehrere Nebenflüsse in die Theiß gelangt waren. Zyanide sind extrem giftige Verbindungen aus Kohlenstoff und Stickstoff. Etwa 100.000 Kubikmeter zyanidhaltigen Schlammes sollen aus der Kläranlage ausgeflossen sein. Nachdem der Unfall bekannt wurde, stellten rumänische Behörden außerdem fest, dass eine weitere Firma in Baia Mare regelmäßig in geringerem Umfang zyanidhaltige Abwässer in einen kleinen Fluss nahe der Stadt einleitet.

In Ungarn musste letzte Woche in den Großstädten Szolnok und Szeged die Trinkwasserentnahme aus der Theiß zeitweise angehalten werden. Die Wasserwerke der ostungarischen Stadt Debrecen wollen die Wasserentnahme aus einem Kanal, der von der Theiß abzweigt, noch bis zum kommenden Donnerstag aussetzen. In einigen ungarischen Dörfern müssen Bewohner mit Trinkwasser aus Tankwagen versorgt werden. Betroffen waren von den Maßnahmen mehrere hunderttausend Menschen.

Mitarbeiter des ungarischen Katastrophenschutzes haben bisher knapp 100 Tonnen toten Fisch aus der Theiß und einigen kleineren Flüssen geborgen, gehen aber davon aus, dass das Fischsterben einen weitaus größeren Umfang hat, da die meisten toten Fische in dem zur Zeit sehr kalten Wasser am Flussgrund treiben würden. In geringerem Maße sind auch Wassersäugetiere sowie Vögel und andere Tiere, die an der Theiß leben, betroffen. Sportangeln, Fischen und Jagd wurden um den Fluss herum vorerst verboten. Ungarische Behörden führten außerdem verschärfte Kontrollen von Speisefisch ein.

Ungarische Politiker und Umweltexperten nannten den Giftunfall die „größte Umweltkatastrophe, die Ungarn jemals erlebt“ habe. Der Debrecener Ökologieprofessor Zoltan Varga sagte im ungarischen Rundfunk, es könne Jahre dauern, bis der Fischbestand ersetzt sei. Einige Arten wie der Donaulachs seien möglicherweise ganz ausgerottet. In der südungarischen Grenzstadt Szeged im Länderdreieck Ungarn-Jugoslawien-Rumänien versammelten sich am Wochenende mehrere hundert Menschen zu einem symbolischen Begräbnis der Theiß und warfen Blumen auf das Wasser. Der ungarische Umweltminister Pal Pepo und ein Vertreter des rumänischen Umweltministeriums einigten sich letzte Woche darauf, eine gemeinsame Kommission zur Untersuchung des Giftunfalls und eine bilaterale ökologische Monitoring-Gruppe einzusetzen.

Rumänien, wo die Verletzung von Umweltrichtlinien oft nur lax oder gar nicht geahndet wird, sieht die Verantwortung bei der australischen Betreiberfirma der Goldfabrik in Baia Mare. Der Chef des australischen Bergbau-Konzerns „Esmeralda Explorations“, Brett Montgomery, nannte die Berichte über die Giftkatastrophe „stark übertrieben“ und lehnte die Verantwortung für den Unfall ab. Gegen das australische Unternehmen laufen in Rumänien bereits mehrere Prozesse wegen Umweltverschmutzung. Keno Verseck