Virtuelles Töten und realer Schnaps ... ■ Von Karl Wegmann

Heute schon Hühner getötet? Wenn man diversen Magazinen glauben schenken möchte, ist ganz Deutschland seit Monaten mit dem Abballern von Moorhühnern beschäftigt – und zwar während der Arbeitszeit! Da wird unsere Volkswirtschaft komplett lahm gelegt, nur um grausamen Massenmord am unschuldigen Federvieh zu begehen. Die virtuelle Killerei, von einem Schnapsbrenner als Werbegag gedacht, gibts kostenlos im Internet. Natürlich ist das Spiel total stumpf, das sind die meisten Dinge im Netz, aber eben kostenlos, und da fängt der deutsche Surfer an zu sabbern. Ich kenne Leute, die wandern jeden Tag stundenlang durchs Netz, nur um ein paar Gratisproben Apfelblüten-Shampoo aufzutreiben.

Oder Holger. Holger lässt sich immer Probeabos von Zeitungen und Zeitschriften schicken – „kostet ja nichts“ –, die ackert er dann durch, nicht um sich zu informieren, sondern auf der Suche nach Abo-Geschenken. Er findet dann die Kaffee-Maschine im Porsche-Design. Holger rechnet kurz („da spar ich fast hundert Mark“), und schon hat er ein Abo geordert. Nach einem Jahr kündigt er wieder, weil er unbedingt diesen verchromten Zimmergrill braucht. Bücher bestellt Holger bei Amazon („da gibts Gummibärchen umsonst“), und CDs holt er sich direkt aus Amerika, „wenn der Dollar günstig steht und die Werbegeschenke okay sind“. Und das alles vom Schreibtischstuhl aus.

Kein Wunder, dass Menschen wie Holger außerhalb der schönen neuen virtuellen Welt Schwierigkeiten bekommen – und wir alle müssen grausam darunter leiden. Zum Beispiel im guten alten Plattenladen. Da ist kaum noch eine aktuelle CD mit echtem Cover oder Inlet zu finden. Alles nur noch primitivste Fotokopien. Weil sich die neuen Musikliebhaber ihre Mucke kostenlos aus dem Netz holen und selber brennen. Das passende Cover wird geklaut.

Der reale Supermarkt ist ebenfalls auf dem Rückzug in finstere Tante-Emma-Zeiten. Es fing ganz harmlos an. Zuerst kam nur der Edel-Schnaps in den Plastiktresor. Wollte man teures Hochprozentiges, musste man einen Angestellten suchen, der einen Schlüssel hatte, und untertänigst um eine Flasche bitten. Der Diebstahl von Luxus-Alkoholika ging rapide zurück – genau wie der Umsatz. Da kann der schottische Whiskeypanscher noch so tolle hühnerfeindliche Abballerspiele auf den Markt werfen, sein suchterzeugendes Gesöff gibts nur, wenn man einen Verkäufer findet und Bitte-Bitte macht. Das geht nicht lange gut, dachte sich Herr Normalverbraucher und lag voll daneben. Denn jetzt wurde auch der billige Schnaps weggeschlossen. „Was sollen wir machen, die klauen wie die Raben“, hieß es bei HL, Untertitel: „Deutscher Supermarkt“. Mit „die“ sind „wir“, die Kunden, gemeint, die bei HL eigentlich unerwünscht, weil alle kriminell sind. Inzwischen haben sie selbst Rasierklingen weggeschlossen. So schafft sich der reale Supermarkt selbst ab beziehungsweise verwandelt sich zurück in den alten Kaufladen. Der wird aber von allen Menschen, die mit eine Tastatur umgehen können, überhaupt nicht mehr wahrgenommen. Die gehen nämlich im Netz einkaufen, da gehts viel höflicher zu, man kann die Sache bequem während der Arbeitszeit erledigen, und tote Moorhühner gibts kostenlos dazu.