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Ein Leben ohne Bild

Auf der Suche nach Sisi in Ägypten: „Ein flüchtiger Zug nach dem Orient“ (Forum)

Die österreichische Kaiserin Elisabeth ließ nach ihrem 31. Geburtstag keine Bilder mehr von sich verbreiten. Keine Fotografie, kein gemaltes Porträt sollte ihr allmähliches Altern verraten. Der Welt wollte sie als junge Sisi in Erinnerung bleiben. Sie zog ein unstetes Reiseleben dem verhassten Wiener Hof vor und verbarg sich unterwegs hinter Schirmen und Schleiern.

Wie konsequent die bayerische Prinzessin ihren Widerwillen gegen das feudale Zeremoniell und ihr persönliches Unglück in die Inszenierung eines Mythos um die eigene Person umpolte, wurde anlässlich ihres hundertsten Todestages 1998 noch einmal deutlich. Die historische Sisi, die aus dem Schatten des zuckrigen, harmonieversessenen Sissi-Bildes der Romy-Schneider-Filme trat, erschien als Urmutter der Jane Fondas und Lady Dianas unserer Zeit. Hat sie nicht die sportliche Stählung des weiblichen Körpers zur ganz persönlichen Disziplin erhoben, als manische Hungerkünstlerin dem höfischen Luxus ihr narzisstisches Schönheitsideal entgegengestemmt, eine geheimnisvolle Aura aus dem realen Elend ihres Mangeldaseins gezaubert?

Die Wiener Dokumentarfilmerin Ruth Beckermann hat sich über das Gedenkjahr hinaus Zeit genommen, um eine ungewöhnlichen Perspektive auf die komplizierte Sisi zu finden. Nur ein Bild von ihr kommt in dem Film vor – jenes letzte Fotoporträt, das die 30-Jährige zirkulieren ließ: üppige Haarkrone, skeptischer Blick, Schwanenhals. Es liegt auf dem Tisch der schreibenden Filmemacherin und funktioniert eher als Talisman denn als Material für Beckermanns Spekulation. Was war das für ein Leben, von dem es kein Bild gibt? Wie war es, wenn die schöne Kaiserin ihre Abwesenheit zelebrierte – auch den gesamten europäischen Adel düpierte – und incognito reiste, anstatt zu repräsentieren? Was erschloss sich einem solchen Blick vor 120 Jahren?

Der Film stützt sich auf Tagebücher, Briefe und Notizen von Sisis Sekretär. Er nutzt sie geschickt für etwas Anderes als bloße biografische Puzzlestücke. Beckermann interessiert, was für Bilder möglich sind von einer Frau, die sich unsichtbar gemacht hat. Wie stellt man den Mythos dar, ohne dessen Kern – strategisches Kalkül oder verzweifelte Verteidigung – zu ignorieren? Steckt hinter dem Mythos ein divenhaftes Versteckspiel, eine Opferexistenz oder ein Spielraum für Grenzüberschreitungen?

Beckermann macht einen überraschenden Umweg. Sie erforscht das oszillierende Verhältnis von Mythos und Wirklichkeit weiblicher Existenz da, wo „unsichtbar“ gemachte, verschleierte Frauen neben unverschleierten leben. Sie setzte sich in ihrem Film auf die Spuren einer Ägyptenreise, die Elisabeth von Österreich – wie viele feudale Touristen – nach dem Bau des Suez-Kanals unternahm: „Ein flüchtiger Zug nach dem Orient“ ist ein Sisi-Wort, Titel für Beckermanns Passage.

Sie sucht die Orte auf, die Sisi besuchte: Alexandria, Kairo, Gizeh. Sie und ihre exzellenten Kamerafrauen Nurith Aviv und Sophie Maintignieux fanden Cafés, Bazare, Hotels und Gärten von damals – manchmal auch nur Betonbauten anstelle des verschwundenen Prunks. In atmosphärisch dichten Bildern sieht man ägyptischen Frauen bei der Arbeit zu und den Männern beim Nichtstun.

Der Fluss des wienerischen Kommentars mäandert, die Bilder dagegen zeigen konkrete Reisebegegnungen. Manchmal ist diese Diskrepanz anstrengend, man schaut und vergisst zuzuhören. Aber das ist der faszinierende Punkt an Beckermanns Film: Er vermittelt die Unruhe, Zerfahrenheit und eilige Selbstverschwendung Elisabeths an vielfältige Interessen; er stellt diesem Lebensgefühl die ägyptische Gleichzeitigkeit von Moderne und Archaischem gegenüber und spielt keine seiner Welten gegen die andere aus. Claudia Lenssen

„Ein flüchtiger Zug nach dem Orient“. Regie: Ruth Beckermann. Österreich, 82 Min., Heute, 12.45 Uhr, Cinemaxx 3, 19 Uhr, Delphi; 17. 2., 11 Uhr, Cinestar 8; 18. 2., 19.30 Uhr, Arsenal

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