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Dreckiges Dutzend

■ Die rumänische Hochgeschwindigkeits-Blaskapelle Fanfare Ciocarlia dreht auf

Erschießt den Skeptiker! Den, der in der Ecke sitzt und angesichts des mächtigen rumänischen Blasens nur an Markt und Marketing denkt – einen Topf, in den er die omnipräsenten Kubaner schon längst geworfen hat.

Es ist schon wieder da, das dre-ckige Dutzend aus Zece Prajini – und auch wenn niemand von ihnen Ferrer oder Gonzales heißt und als Star unter Stars aufzubauen ist (weil sie zwar manchmal zum Quartett, doch nie zu Solisten schrumpfen und weil sie nun mal nicht singen, schon gar nicht spanisch), ist doch zumindest das verschworene Geheimwissen um diesen wirklich echten heißen Scheiß zum ethno-affinen Gemeinplatz geworden.

Natürlich spielen sie, Rumänen wie Kubaner, alle Nase lang. Sie spielen ohnehin jeden Tag und jeden Abend. Die Musik dieser gefühlsreich gealterten Herren wäre gewiss nicht so wie sie ist, wenn sie nicht ihr Leben wäre. Im Falle von Fanfare Ciocarlia sind das Feste, egal ob Hochzeit, Geburt oder Tod. Auch hier die Analogie zu Kuba, wo auch Schmerz, Leid und Armut die Wurzel allen Schaffens ist, die Musik Balsam und Vertrauen. Während die karibische Sonne das Tempo drosselt und durch kollektives Abfinden die Musik immer auch staatstragend hat sein lassen, gibt es bei den Roma-Traditionals zwar keine politische aber doch eine zur familiären Eskalation drängende Energie. Musikalisch manifest im call & response, aufgelöst in hysterischer Raserei, die allen in der Musik und im Leben sitzenden Schmerz genauso wegzu(b)rennen vermag wie hochprozentiger Alkohol und lautes Lachen.

Schmerz und Leid, von denen unser Skeptiker ja ach so viel versteht. Also erschießt ihn! Oder besser noch, setzt ihm eine Flasche Sliwovitz an den Hals und schleift ihn mit. Dann soll er tanzen – 150, 200, 250 Beats pro Minute, im Falle der Fanfare hauptsächlich gemessen in Tuba-Stößen. Ja, tanzen, das ist die universalistische Botschaft der Abgesandten des ex- und noch sozialis-tischen Gebildes, die fast alle die Revolution in volljährigem Bewusstsein miterlebt haben. Die einen tanzen Standards, die anderen schleudern sich in die Bewusstlosigkeit.

„Punk's not dead“ ist einer der Erkenntnisse beim Massieren der wunden Füße. Er lebt in uralten, zwei Gesellschaftssysteme durchlebten, rumänischen Anzügen.

Holger in't Veld

Mi, 23. Februar, 21 Uhr, Fabrik

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