„Eine Poesie der Moderne“

■ Penderecki, Coupland und der Duft von Benzin: Gespräch mit der Regisseurin Karin Beier, deren Projekt Futur Zwei am Schauspielhaus Premiere hat

Nach ersten Opernversuchen in Bremen und dem Schauspielhaus-Schritt in die Gegenwart mit Clockwork Orange wagt sich die Shakespeare-Expertin abermals auf unbekanntes Terrain. Futur Zwei ist Karin Beiers erstes „Projekt“, eine Collage aus Text, Video, Musik und Chor, es geht um Orientierungslosigkeit und Selbstfindungsversuche ihrer Generation. Die taz hamburg sprach mit der 34-jährigen Regisseurin über verlorene Werte, ihren neuen Optimismus und die Schönheit des Lapidaren.

taz hamburg: Worum geht es in „Futur Zwei“?

Karin Beier: Wenn ich es in einem Satz sagen müsste, würde ich das Projekt beschreiben als eine Identitätssuche zwischen der Lust an der Banalität des Alltags und der Sehnsucht nach einer absoluten Größe.

Und wenn Sie es ein bisschen konkreter sagen dürften?

Die Reflexionen der Figuren in Futur Zwei über die Welt finden zum großen Teil unter Einsatz von technischen Mitteln statt, wie Kameras oder Rechnern, und sie versuchen über den Weg von Verfremdung, Infragestellung von Realität und Assoziation, einen neuen Blickwinkel zu erwischen. Dabei entdecken sie eine Art „Poesie der Moderne“. Und trotz ihres „apokalyptischen Bewusstseins“ zeigen diese Figuren eine große Bereitschaft, lebensbejahend mit ihrer Welt umzugehen, und finden Schönheit möglicherweise an Stellen, wo man sie nicht unbedingt vermuten würde.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Einer, der als kleiner Junge immer alles falsch gemacht hat, erzählt, wie ihn der Vater das erste Mal das Auto hat tanken lassen. Natürlich geht das schief, und das Benzin läuft über. Aber der Vater reagiert völlig anders, als der Junge erwartet hätte. Es sagt nämlich: Mach mal die Augen zu und riech! Und in dem Moment, da er die Augen schließt, kommt die Sonne aus den Wolken hervor, und er atmet den Benzingeruch ein und sagt so etwas in der Art wie: Dieser Moment muss dem Himmel wohl sehr ähnlich sein.

Was ist Ihrer Meinung nach los mit dieser „Generation X“ oder wie immer man heute Menschen Ende zwanzig, Anfang dreißig nennen will, woran liegt es, dass die so schwer zu fassen sind?

Für mich hat das viel mit dem Fehlen von absoluten Größen zu tun, sprich: Religion, Politik, Familienbande. Als ich 18, 19 war, habe ich begonnen, mich mit der RAF auseinanderzusetzen, und dabei einen gewissen Neid empfunden, dass die noch so etwas hatten, wo die jugendliche Energie und die Sinnsuche hingehen kann. Wenn ich früher Stücke inszeniert habe, die etwas mit der modernen Welt zu tun hatten, habe ich oft versucht, etwas über fehlende Grenzen zu erzählen. Das hat sich weiter entwi-ckelt, mein Lebensgefühl speist sich nicht mehr aus einem Verlustgefühl – ich bin eigentlich ein sehr optimistischer Mensch. In Futur Zwei will ich nun diese Balance herstellen: Die Figuren brechen zwar auf, lassen Ängste zu, zeigen Blößen, aber andererseits werden sie nicht zynisch dabei oder resignieren.

„Futur Zwei“ ist Ihr erstes Projekt überhaupt. Was hat Sie bewogen, sich auf einmal so drastisch aus der Sicherheit einer Stückvorlage zu wagen?

Zunächst hatte ich große Lust dazu, in der letzten Spielzeit an diesem Haus, wo wir nicht mehr ganz so vehement unter Beweisdruck stehen, ein Experiment zu wagen. Zumal das auch nur geht, wenn man die Kollegen sehr gut kennt. Da müsste ich erst an einem anderen Theater wieder fünf Jahre gearbeitet haben. Und dann hatte ich Lust dazu, mit verschiedenen Mitteln zu operieren: Textfragmente, Videofragmente, Chormusik von Penderecki und so weiter.

Wie sind Sie vorgegangen?

Wir haben zu Beginn erstmal Texte zum Thema gesammelt: von Sibylle Berg, Douglas Coupland, Gottfried Benn, Friedrich Hölderlin und aus Filmen wie Rocket Baby Dolls, Natural Born Killers oder Naked von Mike Leigh. Daraus habe ich mit dem Dramaturgen eine Art Rohfassung vor der ersten Leseprobe erstellt, damit die Schauspieler nicht im Nirwana anfangen müssen. Darin berücksichtigt war auch schon eine gewisse Konturierung der Figuren, so dass die Schauspieler nicht reine Textträger werden, wie das so oft bei Projekten der Fall ist. Und dann haben wir improvisiert.

Was haben Sie als nächstes vor?

Etwas ganz anderes: Ich werde in Köln Tschechows Kirschgarten inszenieren. Meine augenblickliche feste Anbindung habe ich am Wiener Burgtheater. Und dann gehe ich 2001 mit Frank Baumbauer nach München. Es gab jedenfalls erste Gespräche. Vielleicht ändert er ja aber auch nach Futur Zwei seine Meinung, wer weiß (lacht).

Sind Sie so unsicher?

Ich habe schon den Eindruck, dass dieser Abend für eine ältere Generation auch befremdlich ist, weil wir viele Theatergesetze nicht einhalten, was die Lapidarität der Texte angeht. Und auch den sprachlichen Umgang: Die Figuren reden oft durcheinander, es gibt ein Häppchen hier und ein Häppchen da. Das Ganze wird sehr unfertig wirken und rauh und chaotisch. Ich verlange dem Zuschauer ein paralleles Schauen und Hören ab, man wird ungeduldig dabei. Aber egal wie Futur Zwei angenommen wird vom Publikum, wird das eine Arbeit gewesen sein, die extrem spannend war mit den Schauspielern.

Interview: Ralf Poerschke

Premiere: Fr, 18. Februar, 20 Uhr, Schauspielhaus