Diskrete Verliebtheiten

Hypnotisch wie eine Schubert-Sonate: Der indische Film „Bariwali – The Lady of the House“ von Rituparno Ghosh (Forum)

Eine übergewichtige ältere Dame, ein schnippisches Dienstmädchen und ein alter Diener wohnen in einem riesigen alten Landhaus. Früher war die Familie wohl sehr reich, aber jetzt blättert die Farbe ab, und die Dame muss alle naslang mit dem Schraubenzieher zum Stromkasten, um die Sicherungen auszuwechseln. Sie hat eine traurige Geschichte: Vor vielen Jahren wollte sie heiraten. Alles war vorbereitet – da wurde der Bräutigam zwei Tage vor der Hochzeit von einer Schlange gebissen. Aus der Traum. Seit diesem Tag lebt sie mit ihren zwei Dienstboten allein. Vor die Tür geht sie nur selten. Gespannt setzt sich der Zuschauer auf: Ah! Eine traumatisierte ältere Dame allein zu Haus – sollte dies eine indische Version von „Hush, hush, sweet Charlotte“ werden?

Da kommt auch schon der Fremde. Hier ist es ein Filmregisseur, der einen Film in dem alten Haus drehen will, nach einer Geschichte von Rabindranath Tagore. Rücksichtslos setzt er sich über die scheue Abwehr der Dame hinweg. Es ist nur ein schwacher Widerstand: Sie braucht Geld und immerhin, der Mann hat ein Händchen für den Stromkasten.

150 Minuten dauert dieser Film. Keine abgeschnittenen Köpfe rollen aus einer Dose. Kiron Kher, die Hauptdarstellerin der Dame, benutzt keine Manierismen, die Bette Davis auszeichneten. Es geschieht wenig, was man nacherzählen könnte, aber der Rhythmus ist hypnotisch wie eine Schubert-Sonate.

Nichts ist vor diesen Fremden sicher: Das Bild ihres Vaters wird für Dreharbeiten konfisziert, ebenso Stickrahmen und Betelschüssel. Ganz langsam gibt die Dame ihre Zurückhaltung auf, freundet sich mit einem Mitarbeiter an, beäugt neugierig die Hauptdarstellerin, die früher eine Affäre mit dem Regisseur hatte. Und sie bekocht den Regisseur zum Geburtstag. Ihre Verliebtheit ist so diskret, dass man sie kaum beim Namen nennen möchte. Schließlich lässt sie sich sogar dazu bewegen, in einer kleinen Szene mitzuspielen. Doch auch dieser Traum endet bitter.

Kiron Kher verdiente für ihre Rolle einen Goldenen Bären. Sie ist einfach wunderbar! Sie bewegt sich den ganzen Film über mit der würdevollen Langsamkeit einer molligen Dame. Beim Sprechen hält sie sich jedoch einen Zipfel ihres Saris vor den Mund, wie ein kleines Mädchen. Mehr braucht sie nicht, um die ganze Tragödie dieser einsamen Frau zu zeichnen.

Der Regisseur sei hier allerdings mal kurz an den Ohren genommen! „Bariwali“ sei ein Film über die Ausbeutung von Menschen durch räuberische Kreative, erklärt Rituparno Ghosh im Forumskatalog. Er sei darüber nicht sehr glücklich. Nun, mein Herr, das Publikum spendet gern Applaus. Absolution müssen Sie sich woanders holen. Anja Seeliger„Bariwali – The Lady of the House“. Regie: Rituparno Ghosh. Mit Kiron Kher, Chiranjeet Chakravorty, Indien, 150 Min. Heute, 18.30 Uhr, Cine- star 8; 19. 2., 19.15 Uhr, Arsenal