Auge um Auge

■ (Fast) neu im Kino: Res Celiks Film „Lebewohl morgen“ erzählt von drei 68ern in der Türkei, die 1972 gehenkt wurden

US-Fahnen verbrennen ist gefährlich. Auch in der fernen Türkei. Deniz Gezmis kam 1966 wegen des bloßen Verdachts des Flaggefackelns in den Knast. Er protestierte gegen die Stationierung der 6. US-Flotte. Mit Knästen durfte er fürderhin näher Bekanntschaft schließen, was zu seiner Radikalisierung beitrug. Erst nahm der Jurastudent teil an Unibesetzungen. Später überfiel die „Volksbefreiungsarmee“ THKO, deren Führer er wurde, Banken.

Mit der RAF ist die THKO jedoch nicht zu vergleichen, hat sie es doch in Sachen krimineller Energie nicht über die blut- wie folgenlose Entführung von vier US-Soldaten hinausgebracht. Trotzdem wurde Gezmis am 5. Mai 1972 nebst zwei Genossen gehenkt. In der Türkei herrschte an diesem Tag landesweites Ausgehverbot.

Stimmen behaupteten damals, diese drei Morde seien die Rache des Regimes für drei andere Tote: Nach ihrem Putsch 1960/61 ließen die linken Generäle den geschassten Ministerpräsidenten samt zwei Gefolgsleute hängen. Auge um Auge. Gemeinhin aber löste der türkische Staat seine Probleme mit der Linken eleganter: Zwar wurden nach dem Putsch 1980 nochmal etwa 50 Menschen gehenkt, nur zwei davon von der faschistischen MHP; deutlich mehr Menschen allerdings wurden bei Demos erschossen, oder verschwanden einfach, besonders in den brutalen Jahren 1975 bis 1980.

Reis Celik drehte einen Film über die drei Gehenkten von 1972, die bis heute Helden der linken Bewegung sind. Ziemlich radikal beschränkt er sich dabei auf die Zeit zwischen Verhaftung und staatlichem Mord. Der Regisseur wertete penibel die Notizen von Gezmis' Rechtsanwalt aus. Nur eines hat er zeitgeistig unterschlagen. Den letzten Satz des Gehenkten: „Hoch lebe der Marxismus-Leninismus.“ Prompt wurde er dafür von den Alt-68ern in der Türkei gegeißelt. Deren Stiftung zog sich aus der Filmproduktion zurück. Auch dass er für den 24-jährigen Jurastudenten einen zwar charismatischen, aber recht alten Schauspieler wählte, kam schlecht an.

„Lebewohl morgen“ ist ein schöner Film. Bilder aus dem Untergrund, wortwörtlich, aus schimmligen Kellerlöchern mit geheimnisvoll tropfendem Wasser haben Tarkowski-Flair. Ein roter Rumpel-LKW, türkisfarbene Gefängnismauern, eine grottige Goldbordüre auf roter Krawatte, verschneite Landstraßen bei Nacht: Es ist kein purer Informationsfilm, sondern ein echter Kinofilm, bei dem der deutsche Zuschauer Details erfährt, die einem kein Zeitungstext erzählen kann.

Ob „Lebewohl morgen“ allerdings ein guter Film ist, kann und darf ein deutscher Zuschauer wohl nicht beurteilen. Denkt man an hiesige RAF-Aufarbeitung, etwa von Schlöndorff, Fassbinder, Vesper, mit ihrem bösen Fingerzeig auf RAF-interne Krisen und Widersprüche, dann muten die türkischen Revolutionäre arg gut und edel an. Arg grimmig dagegen die Militärs. Fast eine halbe Stunde „verschwendet“ der Regisseur damit zu zeigen, wie toll mutig die Helden in den Tod gehen. Peinlich. Aber vielleicht war es einfach so, vielleicht gibt es sie, die Helden, auch wenn das in unserer verrotzten Gesellschaft niemand mehr glauben mag.

Auf alle Fälle ist „Lebewohl morgen“ ein wichtiger Film. Umso ärgerlicher, dass in Deutschland mehr Kurden und Türken als Deutsche in den Film laufen. Dabei könnte er unser Türkeibild korrigieren. Die Militärputsche 1960, 1971 und 1980 genießen in Nato-Ländern eher einen guten Ruf. Die beiden letzten wohl eher zu Unrecht. Für die rechten Militärs, so Gezmis und Genossen vor Gericht, waren Kemalismus, Recht, Ordnung nur Vorwand. In Wahrheit ging es um das Gegenteil, um die Rücknahme kemalistischer Liberalisierung. Islamismus und Faschismus wurden in Worten bekämpft, in Taten jedoch vielleicht eher gefördert und instrumentalisiert im Kampf gegen die Linke.

Der Film zeigt einen unfairen, schikanösen Justizapparat, ähnlich, aber härter, als man ihn aus den Büchern von RAF-Anwalt Heinrich Hannover kennt. Auf der Anklagebank saßen 17 Männer und eine Frau. Zwar gab es Frauen in der türkischen 68er-Bewegung, aber sie erhielten keine Spitzenfunktionen, so der engagierte kleine Nürnberger Filmverleih InterForum. Liebe durfte es zwischen Genossen nicht geben, schließlich schwächt das die kommunistische Sache. Deshalb gibt es auch im Film nur sieben Sekunden Liebe. Zwar tragen die Genossen dieselben Schlurf-Cordhosen und Schafwollpullis wie im Westen, eine Reformierung von Sexualität und Lebensform aber war ihre Sache nicht. bk

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