Gefährliche Fälschungen

Bericht über Atomfabrik im britischen Sellafield offenbart schwere Verstöße gegen Sicherheitsvorschriften ■ Von Reiner Metzger

Berlin (taz) – Die Betreiber der atomaren Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) im britischen Sellafield haben einen weiteren Skandal am Hals. Gestern Morgen wurde ein Bericht der staatlichen Nuklearanlageninspektion (NII) veröffentlicht, der schwere Verstöße gegen die Sicherheitsvorschriften und „systematische Managementfehler“ aufführt. Demnach fälschten Angestellte des Brennelementewerks seit 1996 Dokumente. Das Werk ist stillgelegt, bis die Empfehlungen des Regierungsberichtes umgesetzt sind.

Es gab keine zentrale Kontrolle der Sicherheitsabteilungen, heißt es im NII-Report. Die Stellenzahl in den zuständigen Abteilungen wurde in letzter Zeit zurückgefahren. Der Betreiber gibt laut dem Bericht absichtliche Fälschungen von Qualitätstests zu. Auch wären Datenblätter von alten Materialproben kopiert und als neue ausgegeben worden. Manager hätten selbst Diskrepanzen in den entsprechenden Angaben und Messungen nicht erkannt. Das Training für einige Angestellte sei minimal oder nicht existent gewesen.

NII-Chefinspektor Lawrence Williams kritisierte gestern das Fehlen einer „Sicherheitskultur“ in der Atomfabrik. „Es gibt keine Entschuldigung, wenn Arbeiter den vorgeschriebenen Verfahren nicht folgen und absichtlich Aufzeichnungen fälschen, um langwierige Tätigkeiten zu vermeiden.“ Williams forderte auch personelle Konsequenzen.

Die 40-Seiten-Studie stellt der schon von einigen technischen Pannen und Schlampereien erschütterten Anlage in Sellafield erneut ein schlechtes Zeugnis aus. Es geht vor allem um eine moderne, 18 Milliarden Mark teure Fabrik für sogenannte MOX-Brennelemente. Dort werden neue Brennelemente für AKWs aus alten, abgebrannten, gewonnen. Der Brennstoff ist ein Gemisch aus Uran- und Plutoniumoxiden, kurz Mischoxid oder MOX. Die Lieferungen gehen hauptsächlich nach Japan, und dortige Behörden haben den Skandal auch angestoßen. Bei einer Eingangskontrolle stellten die Japaner Unregelmäßigkeiten in den Begleitpapieren fest. Daraufhin stoppte Japan im Januar weitere Importe aus Sellafield.

Die Zusammensetzung der Brennelemente ist wichtig, weil sie auf das Verhalten des Brennstoffs im laufenden Reaktor Auswirkungen hat. Auch müssen die Abmessungen der Stahlstäbe stimmen, damit sie sich weder verklemmen, noch zu stark vibrieren. Laut Atominspektor haben die Fälschungen bisher keine Folgen für die Sicherheit von Reaktoren gehabt.

Bisher wurden in der MOX-Fabrik fünf Arbeiter entlassen, drei im Oktober, zwei weitere in der vergangenen Woche. Sie hatten Messungen an den fertigen MOX-Stäben gefälscht. Weder ihren Chefs noch der Sicherheitskontrolle des Werkes war angeblich irgendetwas aufgefallen. Trotzdem schloss die Betreiberfirma BNFL personelle Konsequenzen in den oberen Etagen bisher aus.

Dem britischen Sender BBC lag gestern ein internes Dokument der BNFL zur künftigen Taktik vor. Den Managern werden vorgefertigte Antworten geliefert, falls Journalisten sie nach ihrem Rücktritt fragen sollten: „BNFL hat eine robuste Strategie und gute Erfolgsaussichten“, heißt die Formel, „und wir sollten es diesen Ereignissen nicht gestatten, die wichtigsten Errungenschaften des Managements zu überschatten.“

Etwas klarer sieht die zuständige Gewerkschaft die Gefahren. „Es ist ein Schlag für die ganze Branche“, sagte gestern Jack Dromey von der Transport and General Workers’ Union gegenüber der BBC und forderte sofortige Konsequenzen, um die Arbeitsplätze nicht zu gefährden.

Unter dem Eindruck des gestrigen Reports sagte Sellafield-Direktor Brian Watson immerhin für die nächsten Monate eine „grundsätzliche Prüfung“ des Managements zu. Ob es personelle Konsequenzen geben werde, wollte er jedoch nicht kommentieren.