Wir brauchen neue Formen!

■ Im Studio 13 stellt das Cechov-Ensemble „Play Cechov“ vor

Einerseits bietet es eine großartige Gelegenheit zur Selbstparodie und Infragestellung des eigenen Schaffens, andererseits erfordert es gute schauspielerische Fähigkeiten: Das Theaterstück im Theaterstück, wie es in Cechovs Drama „Die Möwe“ vorkommt.

Der Schriftsteller Treplev, Sohn einer Schauspielerin, stellt auf einer kleinen Bühne im Haus seines Onkels sein neues Werk vor. Die in seinem Drama zum Ausdruck gebrachten Visionen des modernen Theaters sind ein Attentat auf das Kunstverständnis der höheren Gesellschaft im 19. Jahrhundert: Einer, an oberflächlichen Schönheitsidealen orientierte Unterhaltung.

Das Cechov-Ensemble des Studio 13 nutzt in seiner zweiten Neuinszenierung dieses Jahres diese schauspielerische Herausforderung zur Präsentation des darstellerischen Könnens, vor allem aber zur Reflektion der eigenen Schauspieltechnik. Die Gruppe zeichnet sich nämlich seit jeher durch ein ganz eigenes Theaterverständnis aus:

Zum einen montiert sie einzelne Szenen aus unterschiedlichen Werken eines Autors selbst zusammen. So wird auch „Die Möwe“ in der Inszenierung des Studio 13 immer wieder von Szenen des anderen Cechov-Dramas „Die drei Schwestern“ durchbrochen. Folgerichtig lautet die Bezeichnung des Bühnenwerkes auch nicht „Die Möwe“, sondern „Play Cechov“. Zum anderen spielt das Ensemble oftmals den gleichen Dialog mit sechs Darstellern gleichzeitig und lässt die Darsteller mitten im Geschehen unversehens ihre Rollen vertauschen.

Wenn also die rebellische junge Schriftstellerfigur Treplev ihren Onkel von der Notwendigkeit neuer Formen im Theater zu überzeugen versucht, dann tut sie das in einer Inszenierung, die selbst auf neuen Formen basiert. Und wenn sie entsetzt über das naive, traditonsbewusste Kunstverständnis ihrer Mutter ist, die das Werk ablehnt, so wird dieser Konflikt von einem Ensemble dargestellt, das sich selbst von alten Kunstauffassungen distanziert. Allein wenn die Aufführung des gewagten Bühnenstücks von Treplev in einem Skandal endet, muss das nicht die gleiche Auswirkung auf die reale Inszenierung bedeuten – schließlich sorgen die guten Leistungen der Darsteller vielmehr für ein ideenreiches und heiteres Spektakel.

So wird Treplevs tragische Rolle von Hato Nordeck beeindruckend umgesetzt, der angesichts des Kunstverständnisses seiner Mutter, schreiend und fluchend einen schon erschreckenden Hass auf sie spürbar werden lässt.

Und die selbige, dargestellt von Renate Coch, zeigt eine Naivität, die wahrhaft nervend ist, und den Wutausbruch ihres Sohnes verständlich macht. Nur die zahlreichen Sprechfehler trüben ein wenig die Leistung und machen einiges an gerade gewonnener Fiktion wieder zunichte. Ausgerechnet die einzige Szene, in welcher sie glaubwürdig erscheinen könnten, verläuft reibungslos: die Theateraufführung, ein Stück für eine Person, die in dem Drama von der schlechten Schauspielerin Nina verkörpert wird. Die Interpretation von Ninas Auftritt durch Jana Köckeritz ist dafür beinahe wieder zu gut.

Johannes Bruggaier