Nach dem Druck ist vor dem Druck

Nach Toren von Michael Preetz gewann Hertha gegen den HSV mit 2:1. Mit dem Sieg ist der Druck auf die Elf von Jürgen Röber aber nicht geringer geworden. Schließlich wartet nicht nur der Endspurt der Bundesliga, sondern auch die Champions League ■ Von Markus Völker

Dieser verdammte Druck. Er lastet tonnenschwer auf den Spielern, den Trainern, den Vereinsoberen. Fußball ist ohne Druck nicht denkbar. Entspannung ist Niederlage, Druckaufbau ein Garant für den Sieg. Nur für einen kurzen Moment darf sich ein Gefühl der inneren Zufriedenheit aufbauen, für ein, zwei Stunden nach dem Spiel vielleicht. Dann geht es wieder daran, Verantwortung zu schultern und gallonenweise Heißluft in die schlaffen Körper einzupumpen, damit die nächsten Punkte eingefahren werden können. Davor wird natürlich unter Hochdruck gearbeitet. Druck ist die Voraussetzung des Erfolgs, und ohne die Vokabel käme kein Trainer dieser Bundesliga mehr aus. Also benutzt er sie höchst inflationär. Auf jeder Pressekonferenz wird nachhaltig „Druck entwickelt“, „unter Druck gesetzt“, „Druck gemacht“.

Selbst Manager Dieter Hoeneß, der mit wuchtiger Stirn Sätze in die Mikros der Reporter köpfelt, kommt am Druck nicht vorbei. „Wenn wir das Spiel nicht gewonnen hätten, wären wir gegen Leverkusen unter Druck gestanden“, sagte er nach dem 2:1-Erfolg von Hertha BSC gegen den Hamburger SV am Freitagabend im Olympiastadion. Kann also sein Team am Samstag befreit aufspielen in der BayArena, entspannt den Ball treiben und damit in die Niederlage rennen? Wohl kaum. Coach Jürgen Röber sorgt persönlich für den Spannungszuwachs, da er mit dem Zustand der Erschlaffung von jeher nichts anfangen kann. Von Röber weiß man, dass er während langer Ausdauerläufe sein Überdruckventil öffnet und seinem Körper damit inneren Ausgleich garantiert. Das hat Vorbildwirkung. „Vor den Champions-League-Spielen mussten wir wieder obendran sein“, sagte Röber, „denn jetzt haben wir natürlich ein Programm vor uns, das . . .“ Hier stockte dem Übungsleiter der Atem, ohne weiteres hätte man aber fortfahren können: „. . . das uns mächtig unter Druck setzt.“ Zehn Spiele in der Bundesliga, dazu die Aufgaben in der Liga der europäischen Topteams. Hertha muss ob der Lasten nicht bange werden.

Michael Preetz trifft wieder. In vier Spielen der Rückrunde erzielte der Stürmer fünf Tore. Gegen den HSV traf er vor 48.000 Zuschauern zweimal (64., 82. Minute). Von der Fraktur ist nur ein Stahlstift im Unterarm verblieben, er ist also gesund, selbstbewusst, seine Mannschaft „brennt“ (Hoeneß), zeigt „Leidenschaft“ (Preetz), ist „wieder im Geschäft“ (Röber) nach drei Siegen aus vier Spielen und Tabellenrang sechs, der die Teilnahme am internationalen Geschäft sichert. Preetz nach dem neunten Saisontor: „Ich würde mir wünschen, dass es halbwegs so weitergeht.“ Hinzu kommt, dass Röber nicht mehr an der Zahl der Verletzten oder Rekonvaleszenten verzweifeln muss. Lediglich Torhüter Gabor Kiraly laboriert an den Folgen einer Miniskusoperation, B-Nationalspieler Andreas Neuendorf plagen Rückenschmerzen.

Hertha will Druck machen. Die Probleme der Hinrunde sind gewichen. Das Flügelspiel, Herthas Innenleben, funktioniert. Sebastian Deisler spielt gut. Hoeneß lobt Teamchef Erich Ribbeck, der Deisler die EM-Teilnahme zusichert, falls dieser „gesund ist“. Preetz und Dariusz Wosz richten sich ebenso wie Deisler, der gestern von Ribbeck für das Länderspiel gegen die Niederlande nachnominiert wurde, an der Berufung in den DFB-Kader auf. Alex Alves präsentiert sich nunmehr handzahm, selbst wenn er schon zur Halbzeitpause weichen muss. Er habe ohne Murren seine Auswechslung akzeptiert, verriet Röber.

Hoeneß hatte den Brasilianer zuvor ins Gebet genommen: „Junge, wir haben Geduld mit dir, dann habe sie auch mit dir selbst“, so sein Zuspruch. „Er muss sich nicht zusätzlich unter Druck setzen, es wird seine Zeit dauern.“ Es ist zweifelsohne eine Frage der Dosis, die Sache mit dem Druck. Zu viel sprengt Ventile, zu wenig macht schlaff. Hertha entwickelt langsam ein Gefühl fürs Gleichgewicht.