Hessische CDU will im Atombunker bleiben

Mit Slogans aus dem Kalten Krieg stützt der Landesparteitag den bekennenden Lügner Roland Koch. Die Sorge um das „Bollwerk Hessen“ beschert dem Vorsitzenden ein Ergebnis à la Honecker ■ Aus Wiesbaden K.-P. Klingelschmitt

Die Wagenburg steht. Ministerpräsident Roland Koch bleibt Vorsitzender der hessischen CDU. Von 381 Delegierten auf dem Landesparteitag der hessischen CDU stimmten am Samstag in Wiesbaden nur 9 gegen Koch. Die „Traumquote“ von 97,63 Prozent, wie Regierungssprecher Dirk Metz sie euphorisch nannte, entsprach fast exakt der „Aufklärungsquote“, die sich Koch in der Affäre der hessischen CDU um schwarze Kassen und Konten attestierte: 97 Prozent. Vor einer Woche war noch von „95 Prozent“ die Rede gewesen.

„Chefaufklärer“ Koch war bis zum Parteitag also noch aufklärerisch tätig: so um die 2 Prozent etwa. Die Delegierten lagen ihm auch dafür zu Füßen. Stehend applaudierten sie knapp vier Minuten lang dem Mann, der nicht nur nach Auffassung der Oppositionsparteien im Landtag das Parlament und die Öffentlichkeit mehrmals belogen haben soll. Gerade der enorme Druck von außen habe dazu geführt, dass die Partei in Hessen zu fast 100 Prozent hinter dem von allen Seiten angefeindeten Ministerpräsidenten stehe, konstatierte ein Delegierter aus Kassel während einer Zählpause im Foyer.

Dort wurde „Schulmilch mit viel Kalzium“ für die unter Beschuss von allen Seiten stehenden hessischen Christdemokraten ausgegeben. Damit die „morschen Knochen“ nicht doch noch zu zittern anfangen? Alle Redner gerierten sich kämpferisch. „Wenn Koch nicht mehr zu halten ist, ist auch die hessische CDU nicht mehr zu halten“, warnte etwa die Oberbürgermeisterin von Hanau, Margret Härtel. Die parteiinternen Kritiker sollten es nicht zu weit treiben. In Hessen würden sonst Mitglieder und Wähler der Partei von der Fahne gehen. Daran könne doch auch bei der Union in Berlin oder anderswo kein Mensch ein Interesse haben.

Der eigentliche Feind steht nach wie vor links. Der Bundestagsabgeordnete Christian Schwarz-Schilling sprach beschwörend von einer „Schicksalsstunde der hessischen Union“, in der sich SPD und Bündnisgrüne anschickten, das „Bollwerk Hessen“ zu stürmen. Da hätten alle zusammenzustehen wie ein Mann.

Ein „geschlossener Kampfverband“ sei die Partei in Hessen seit den Zeiten von Alfred Dregger und Manfred Kanther ohnehin immer gewesen, wusste der Landrat des Landkreises Fulda, Fritz Kramer, zu berichten. Der geistige Wahlverwandte von Erzbischof Johannes Dyba sah schon den ganzen Kontinent „von Sozialisten unterwandert“. Die Linke wolle die Hegemonie über Europa, ereiferte sich Kramer. Niemand lachte. Kramer wurde mit Beifall verabschiedet. Die „Aussprache“ war beendet. Die Aussprache? In einem „Kampfverband“ wird halt nicht lange diskutiert.

Nur der Landtagsabgeordnete Frank Lortz hatte es noch gewagt, eine einzige – peinliche – Frage zu stellen. Ob damals an der Spitze der Partei tatsächlich kein Mensch gemerkt habe, dass 1983 insgesamt 23 Millionen Mark aus dem offiziellen Haushalt der Partei abgezogen und von Manfred Kanther und dem Prinzen illegal in die Schweiz transferiert wurden? Das angeblich der Partei gehörende Geld sei doch plötzlich nicht mehr vorhanden gewesen. Die Frage von Lortz blieb unbeantwortet.

Kanther und Prinz Wittgenstein waren zuvor von Koch höchstpersönlich rehabilitiert worden. „Wir sind doch nicht die Jakobiner des 21. Jahrhunderts“, sagte Koch. Auch wenn Kanther und der Prinz einen „historischen Fehler begangen“ hätten, werde die Partei nicht den Stab über ihnen brechen. Kein Parteiausschlussverfahren also. Koch vor den Delegierten: „Die beiden Männer gehören zu unser Geschichte. Sie haben viel geleistet. Und wir schulden ihnen Solidarität.“ Beifall. Und die kleinen Lügen unter Freunden, von Koch selbst vorgetragen? Verziehen und fast schon vergessen. Koch gab zu Protokoll: „Hätte ich geschwiegen, wäre ich klug gewesen.“