Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt

Niger, eines der ärmsten Länder der Welt, hat ein steigendes Bruttosozialprodukt bitter nötig. Seit das Militär den Weg für eine gewählte Regierung freigemacht hat, herrscht in der Bevölkerung Aufbruchstimmung ■ Aus Niamey Sandra van Edig

„Wir haben bewiesen, dass man trotz Armut und leerer Staatskassen friedliche Wahlen durchführen kann.“

Gelangweilt stehen die Verkehrspolizisten an den großen Straßen Niameys, der Hauptstadt der Republik Niger. Es ist Montagmorgen, der Berufsverkehr rauscht an ihnen vorbei, nur selten winken sie ein Auto auf den Seitenstreifen. „Das war früher anders!“, berichtet Hamadou, der als Chauffeur in Niamey häufig Kontakt mit den Ordnungshütern hat. „Sie winkten einen ohne Grund heraus, und selbst, wenn alles in Ordnung war, musste man bezahlen.“ Doch ein Glück, schwärmt er, habe sich das jetzt geändert, seit Tandja neuer Präsident ist!

Tandja Mamadou, der neue gewählte Präsident der Republik Niger, und sein Premierminister Hama Amadou wollen der Korruption ein Ende machen. Und sie beginnen bei denen, die als allgemein bestechlich gelten: den Polizisten und den Zollbeamten. Per Dekret haben sie den Einzug von Straßengebühren und die Ausgabe von Strafmandaten auf den nigrischen Straßen verboten. „Wir sind dabei, das System neu zu strukturieren“, begründet ein Zollbeamter die freie Durchfahrt hinaus aus der Hauptstadt.

Früher musste man an allen Ausfallstraßen eine so genannte Péage bezahlen, die von Tag zu Tag variieren konnte. Kleine Händler, die im hoch beladenen Buschtaxi nach Niamey fuhren, verloren an den Grenzposten häufig bereits ihren gesamten kalkulierten Gewinn. Und das Geld floss fast immer in die Taschen der Zöllner oder gewisser Politiker.

Seit etwa zwei Monaten ist die neue nigrische Regierung im Amt. Garba, Mitarbeiter einer Nichtregierungsorganisation in Niamey, ist erleichtert. „Ich kann wirklich wieder sagen, was ich denke, seitdem wir wieder in einer Demokratie leben.“ Seiner Ansicht nach hat der Präsident Tandja Mamadou einen großen Rückhalt in der Bevölkerung. Das stärke seine Position und auch die der Demokratie.

Auch der Schriftsteller Adamou Idé ist überzeugt davon, dass sich die Republik Niger nun nach den vielen politischen und sozialen Turbulenzen wieder stabilisieren wird. Die Übergabe der Macht von den Militärs an die zivile Regierung sei vorbildlich abgelaufen. „Die Militärs in der Elfenbeinküste können sich an unserer Entwicklung ein Beispiel nehmen“, findet er stolz. „Denn wir haben mit den Wahlen im letzten Jahr bewiesen, dass man trotz Armut und leerer Staatskassen friedliche Wahlen durchführen kann.“ Er ist sich sicher, dass diese Republik nun Bestand haben werde. Die Kritik einiger nigrischer Zeitungen, die Regierung wäre inkompetent, empfindet er als vollkommen unangebracht. Man müsse Hama Amadou, dem Premierminister, und seiner Mannschaft etwas mehr Zeit geben.

Es gibt aber bereits Veränderungen im Land. Die vielen Gruppen jugendlichen Kartenspieler sind plötzlich von den Seitenstraßen der Hauptstadt wie weggefegt. Stattdessen begegnet man den Jungen und Mädchen nun zu früher Stunde auf dem Weg zur Schule, ein Bündel Schulhefte über die Schulter gehängt. Nach über vier Monaten haben Ende Januar die öffentlichen Schulen wieder ihren Betrieb aufgenommen, nachdem den Lehrern seit nunmehr sechs Monaten das erste Gehalt ausgezahlt wurde. „Wir hoffen sehr, dass der Erziehungsminister sein Wort hält und auch die kommenden Gehälter fristgerecht bezahlen wird.“ Garba ist froh, dass die Kinder wieder zur Schule gehen können. Durch die vielen Ausfälle sei das Bildungsniveau im Niger sehr niedrig, und er wünsche sich sehr, dass die neue Regierung dieses Problem ernst nehme und zu lösen versuchen wird.

Dies ist nur eins von vielen Problemen, mit denen die neue Regierung konfrontiert ist. Neben dem Schulsystem hat auch das öffentliche Gesundheitssystem in den letzten Jahren sehr gelitten. Die Versorgung der Kranken in den Krankenhäusern ist nicht mehr gewährleistet, es fehlen Medikamente, Geräte und ausgebildetes Pflegepersonal. Im Oktober letzten Jahres war selbst die Grundversorgung in den öffentlichen Krankenhäusern vollkommen zusammengebrochen, nachdem die Angestellten im Gesundheitsbereich für mehrere Tage ihre Arbeit niedergelegt hatten. Wie ihre Kollegen an den Schulen hatten auch sie monatelange Gehaltsausfälle. Nur durch die Zahlung von Teilgehältern hat man das System notdürftig wiederherstellen können.

Fatima, eine Krankenschwester am Nationalkrankenhaus, muss gestehen, dass sie kaum noch Motivation verspürt, täglich ihrer Arbeit nachzugehen. Doch nun, nachdem das erste Gehalt im Januar fristgerecht bezahlt worden ist, hofft auch sie, dass es in Niger wieder aufwärts gehe.

Auf dem Petit Marché in Niamey drängen sich nun Frauen in bunten Kleidern durch die schmalen Marktgassen zwischen den Ständen. „Die Leute haben wieder etwas Geld“, erklärt ein Gemüsehändler das Gedränge. Er freut sich, denn monatelang habe er kaum etwas verkaufen können. Aber er befürchtet bereits, dass es nur ein kurzer Aufschwung war. Denn seit Ende Januar werden die Grundnahrungsmittel besteuert. Die Preise für Reis und Mehl sind um 30 Prozent gestiegen. Auch die Mehrwertsteuer wurde bereits von 17 auf 18 Prozent erhöht.

Dennoch wird Tandja Mamadou bereits als der neue Seyni Kountché gefeiert. Kountché, der sich 1974 an die Macht geputscht hatte, regierte den Niger 13 Jahre langt. Für viele Nigrer ist Kountché Symbol für den wirtschaftlichen Aufschwung. Zu seiner Zeit war der Uranpreis hoch, das Land profitierte davon. Die wenigen Prestigebauten in der Hauptstadt zeugen von dieser kurzen Blüte der nigrischen Wirtschaft. Tandja Mamadou hatte während Kountchés Regierung mehrere Ministerämter inne. Und heute hofft man, dass er damals das Regieren gelernt habe. Der „kleine Kountché“, wie manche ihn heute bereits liebevoll titulieren, könne außerdem auch andere Erfolge aufweisen, die seine Anhänger auf eine wirtschaftliche Verbesserung im Niger hoffen lassen.

Hamadou, der selbst Mitglied in der Partei des Präsidenten, der MSDN, ist, führt als Beispiel gerne Tandjas Zeit als Präfekt in der Region Tahoua an. Tahoua, rund 500 Kilometer nördlich von Niamey, habe sich damals richtig entwickelt. Die Bewohner dächten gerne daran zurück. „Man gab Tandja Geld für zehn Häuser, und er ließ zwanzig bauen.“ So wie im biblischen Wunder der Brotverteilung.

Das Beispiel zeigt, wie populär Tandja Mamadou in Niger ist. Im Norden des Landes erfreut er sich allerdings nicht so großer Beliebtheit. Dort lebt die Minderheit der Tuareg. Ihnen ist Tandja in schlechter Erinnerung. Im Mai 1990 war der heutige Präsident als Präfekt des Departements Tahoua verantwortlich für das Blutbad von Tchin Tabaraden – ein Massaker, bei dem mehrere hundert Tuareg von der Regierungsarmee erschossen wurden. Manche Tuareg fürchten nun, dass die Diskriminierung ihrer Gruppe womöglich wieder zunehmen könnte. Denn durch Tandjas Wahlsieg kamen auch andere seiner Weggenossen wieder in wichtige Positionen. Einige von ihnen spielten in der Vergangenheit wichtige Rollen bei der Unterdrückung der Tuareg.

Der Schriftsteller Adamou Idé kann diese Befürchtung allerdings nicht teilen: „Der Frieden im Land ist seit 1995 wiederhergestellt. Seitdem hat man die Gruppe der Tuareg erfolgreich in die nigrische Gesellschaft integriert, es gibt sogar zwei Minister im neuen Kabinett, die Tuareg sind.“ Seine einzige Kritik an der neuen Regierung ist technischer Natur: „Das Regierungskabinett ist zu groß, man hätte verschiedenen Ressorts zusammenlegen können, das wäre auf jeden Fall billiger geworden.“ Für die Zukunft des Nigers wünscht er sich vor allem Frieden und dass die Nigrer endlich ihre Mentalität ändern. „Sie müssen lernen, nicht immer nur die Hand aufzuhalten. Die internationalen Organisationen sollen uns unterstützen, doch aufbauen müssen wir das Land schon selber.“

Langsam läuft im Niger die Zusammenarbeit mit der internationalen Gemeinschaft wieder an. Als erstes Land hat die Schweiz die Entwicklungsarbeit auf allen Ebenen und ohne Einschränkungen wieder aufgenommen. Die belgische Regierung hat die Zahlung der Gehälter für Januar vollständig übernommen. Auch Frankreich, bis zum Militärputsch im April 1999 wichtigstes Geberland in Niger, hat seine Unterstützung wieder zugesagt. Allerdings sind die Zusagen wegen der vielen Korruptionsfälle nach wie vor verhalten.

Neue Korruptionsvorwürfe richten sich jetzt an die Militärs der Übergangszeit. Bei der Überprüfung der Zolleinnahmen aus der Zeit ihrer Regierung wurden große Unregelmäßigkeiten offenkundig. Man berichtet von den großen Häusern, die sich Oberst Wanké, der Kopf der letzten Militärjunta, in den neun Monaten seiner Herrschaft in seinem Heimatort Dosso gebaut habe. „Wanké hat in neun Monaten mehr Geld unterschlagen als Baré in drei Jahren!“, entrüstet sich Salifa, eine junge Frau. Während Wanké die nigrische Bevölkerung mit Durchhalteparolen hinhielt, schöpften er und seine Kameraden die Zolleinnahmen direkt an der Quelle ab.

Der neue Präsident Tandja Mamadou hat eine Untersuchungskommission eingerichtet, die den Gerüchten nachgehen soll. „Es ist wichtig, dass die Schuldigen zur Verantwortung gezogen werden, sonst verlieren die Nigrer ihr Vertrauen in alle Obrigkeiten“, befürchtet Garba. Auch Hamadou hat die Nachricht der Korruption unter Oberst Wanké und seinen Kameraden schwer getroffen. „Als die Nachricht erschien, war gerade der Ramadan vorüber. Und es war ein trauriges Fest. Denn viele Nigrer konnten sich nicht das Festessen und neue Kleider leisten, wie es bei uns ansonsten Tradition ist. Dann tut es einem weh zu hören, dass sich die Mächtigen die Taschen vollgestopft haben.“

Derweil geht die Sonne über dem Fluss Niger unter. Der Abendverkehr schleicht über die Kennedy-Brücke vorbei an den bereits vergilbten Wahlplakaten Tandjas. „Tandja, der einzig Richtige für den Niger“ steht dort. Die Zukunft wird zeigen, inwieweit der neue Präsident dieser Parole gerecht werden kann.