: Kopflosigkeit auf dem Lande
Wird Johnny Depp den Schädeldieb bezwingen? Tim Burton blickt in „Sleepy Hollow“ liebevoll auf die Einfalt des Glaubens am vorletzten Jahrhundertende ■ Von Harald Fricke
Tim Burton mag Männer, die noch Kinder sind. Unfertige und wunderliche Männer, deren biografischer Lauf ein wenig aus der Bahn gerutscht ist. Da ist zum Beispiel Pee-wee Herman, ein stocksteifer Krautkopf im groß gemusterten Anzug, der nichts so sehr liebt wie sein Fahrrad. Oder Edward, der Junge mit den Scherenhänden, dem das Leben in der Kleinstadt fremd bleibt. Nimmt man seine beiden „Batman“-Verfilmungen und die Story von „Ed Wood“, dem Trashfilmer wider Willen, hinzu, dann ist die Welt von Burton mit einsamen Männern besiedelt, denen zum Ganzsein vor allem die Erfahrung der Liebe fehlt. Das ist eine sehr romantische Sicht auf das Leben, zu der die Genres passen, in denen Burtons Filme spielen: Fantasy, Sciencefiction, Gothic Novel.
„Sleepy Hollow“ fällt in die gleiche Kategorie. Es ist das Jahr 1799. Ein untoter hessischer Soldat spukt nördlich von New York durch die Wälder, ein melancholischer junger Constable soll dessen Mordtaten aufklären. Die Bewohner des Dorfes am Hudson River, in das er für seine Untersuchungen verbannt wird, misstrauen jedoch allen beiden: Der kopflose Reiter (Christopher Walken), der auf seinen Beutezügen reihenweise Menschen enthauptet, ist für sie eine Ausgeburt der Hölle; die Methoden aber, mit denen Polizeiinspektor Crane (Johnny Depp) dem Monster nachspürt, sind ebenfalls Teufelswerk. Crane hat Glück und wird am Ende mit seiner schönen Geliebten Katrina (Christina Ricci) den schrecklichen Ort verlassen. Und der Reiter hat auch Glück – er darf zurück in die Hölle.
Die Kurzgeschichte, nach der Burton „Sleepy Hollow“ gedreht hat, wurde 1819 von Washington Irving veröffentlicht. Es ist eine kleine Anekdote, die vom Aberglauben der amerikanischen Landbevölkerung handelt. Der New Yorker Irving mokiert sich dabei über die rauen Sitten der Bauern, die Leben nur als Arbeit und Kirche kennen. Diese Art Zivilisationsgefälle findet sich hundert Jahre später auf Fotos von Alfred Stieglitz oder in den Geschichten von F. Scott Fitzgerald wieder: Es ist das urbane Staunen über die Rückständigkeit außerhalb der Stadtmauern.
Burton hat der triumphierende Spott des Zeitgenossen auf eine untergehende Welt der Geister und Gespenster nicht interessiert. Zu groß ist sein Herz für die wirre Einfalt des Glaubens, als dass er sie nicht auf alle Beteiligten verteilen würde. In seiner Fassung ist die Modernisierung auch in der Metropole noch längst nicht angekommen. In den Anfangsszenen des Films sieht man New York als grauen Tümpel, aus dem aufgeschwemmte Leichen gezogen werden. Mehr „Name der Rose“ als Big Apple: Die Rechtsprechung ist mittelalterlich und das Leben eines Diebes kaum mehr wert als das eines Tieres. Crane hält dem Gutdünken der Richter seinen kriminologischen Forschungseifer entgegen und wird prompt nach Sleepy Hollow strafversetzt. Dort gilt er bald als Hexenmeister, der mit allerlei Chemikalien an Leichen herumhantiert und Tote mit der Knochensäge zerlegt, statt sie dem Frieden ihres Schöpfers zu überlassen. Er wird als schüchterner Bote des kommenden technischen Zeitalters von allen Seiten missverstanden. Auch das gehört zum Schicksal aller Romantiker.
Für diese komplexen Verstrickungen – noch ist die Ordnung der Dinge nicht wissenschaftlich ergründet, überall herrschen Chaos und die Abgründe der Natur – hat Burton sentimental dahinfließende Bilder gefunden. Die nebligen Wälder von „Sleepy Hollow“ sehen aus, als hätte ein Maler die Landschaft eben erst mit glitzerndem Tau betupft, die Felder leuchten in sanftem Ocker, und das Personal des Films erinnert an die zutiefst anrührenden Freaks von Fellini. Vor allem aber kann sich Burton für die seltsamen Instrumente begeistern, mit denen Crane seinem detektivischen Spürsinn nachgeht. In Großaufnahmen werden Vergrößerungsgläser vor Johnny Depps Augen geschoben oder Zange und Skalpell zur Obduktion bereitgelegt. Dann ist Burton ganz nah dran an den mechanischen Obsessionen Jan Schwankmajers, die er schon mit Edwards Scherenhänden oder dem Trickfilm „The Nightmare Before Christmas“ zitiert hat.
Am meisten schaut die Kamera allerdings auf Johnny Depp. In seinen Gesten und in seiner Mimik findet sich der kindliche Zauber wieder, der Burtons Horrorgeschichte vom blutrünstigen Splattergeschäft unterscheidet. Manchmal möchte man Depp direkt beschützen, wenn er einmal mehr bei Mondschein durch den Wald taumelt oder über geköpfte Leichen stolpert. Wenn er ungelenk auf ein Pferd aufsitzt oder vor dem Schwert des wutschnaubenden Walken flieht, dann ist er Anti-Edelmann und eine Karikatur aller Degenfechterfantasien – ein Bürger eben, der die aufrechte Haltung erst mühsam lernen muss.
Umgekehrt merkt man Depp aber auch die ungeheure Geschmeidigkeit an, mit der er seine Rolle als Inspektor zwischen Einzelkämpfer und Unglücksrabe ausbalanciert. Wenn er sich bei den ersten zarten Berührungen von Christina Ricci besonders tapsig anstellt, verdreht sich sein Körper dabei federleicht wie bei einem Balletttänzer. Überhaupt erscheint Depp als Crane in der Fremde unter Hinterwäldlern so hilflos wie der mordende Widergänger, der doch nur seinen Schädel zurückhaben möchte, den ihm Soldaten im Unabhängigkeitskrieg abgetrennt haben. Beide kämpfen also um das bisschen Eigensinn, das ihnen von einer unverständigen Gesellschaft nicht zugebilligt werden soll. Trotzdem sind die Konflikte bei Burton kein Spiel mit unausgelebten Identitäten. Schnell erkennt man hinter der Angst der Dorfleute vor dem reitenden Tod eine Intrige um Geld und Grundbesitz. Der rachsüchtige Zombie entpuppt sich gar als Erfüllungsgehilfe eines überaus rationalen Plans, dessen Ziel es ist, einfach den herrschenden Clan im Dorf zu eliminieren. Und Depp, der die Aufklärung des Falls in der Wissenschaft sucht, verzweifelt schließlich an der brutalen Logik des Profits. Darin ist Burtons Märchenwelt nicht sehr weit weg vom Amerika der Ölbarone, Broker und Bankiers. Entsprechend endet der Albtraum auch nicht auf den Wiesen am Hudson River, sondern in New York: Als Crane mit seiner Geliebten Katrina heimkehrt, liegt die Stadt unter Schnee. Es ist Silvester, das neue Jahrhundert beginnt, „doch die vergangenen dauern fort“, sagt Katrina auf ihrem unsicheren Weg über die vereisten Straßen. Wahrscheinlich ist Burton selbst ein Zeitenwandler.„Sleepy Hollow“. Regie: Tim Burton. Mit Johnny Depp, Christina Ricci, Christopher Walken, USA 2000, 106 Min.
Man möchte Johnny Depp beschützen, wenn er bei Mondschein durch den Wald taumelt und über Leichen stolpert
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