Das 3. Opfer – ein Kind

■ Osterholzer Sexualtäter nahm sich zwei Tage nach seiner Freilassung einen 6-jährigen Jungen als Opfer

Am Sonntag hat der 44-jährige Sexualtäter Hans-Jürgen R., der nach zwei Attacken auf Frauen am Freitag von der Staatsanwaltschaft auf freien Fuss gesetzt worden war, einen 6-jährigen Jungen angehalten, der auf der Hannoverschen Straße in Osterholz mit seinem Fahrrad fuhr. Der Sexualtäter fragte den Jungen, ob er mit ihm nach Hause gehen wollte. Als das Kind verneinte, küsste er den Jungen auf die Wange und kniff ihn in den Penis. Dieser Vorgang wurde von Passanten beobachtet, die sich auf der Hannoverschen Straße aufhielten. Der Sexualtäter lies von seinem Opfer ab und ging weg.

Die Kripo legte dem Jungen eine Fotomappe vor, aus der er den Täter identifizieren konnte; daraufhin wurde der Mann wiederum festgenommen. Er gestand die Tat.

Die Kripo war die schnelle Freilassung des Sexualtäters am vergangenen Freitag auf heftige Kritik gestoßen. „Erklären Sie das dem nächsten Opfer“, hatte der Weser Kurier am Samstag noch einen Kripo-Beamten zitiert. Die Staatsanwaltschaft sah aber weder eine Wiederholungsgefahr noch in den beiden Taten vom Vortag eine sexuelle Nötigung.

Ohne von dem dritten Vorfall am Sonntag etwas zu ahnen hatte buten&binnen am Montag die Vorfällen des vergangenen Donnerstag aufgegriffen. Die beiden jungen Frauen berichteten, was passiert war. Natalia: „Gegen 21 Uhr habe ich den Bus verlassen. Den ganzen Weg lang ist er hinter mir her. Vor der Haustür hat er mir unter den Rock gefaßt. Da habe ich mich umgedreht – und habe einen Schlag ins Gesicht gekriegt. Da bin ich abgehauen, es ist mir gelungen, in eine Haustür reinzukommen. Da habe ich erst mal an meine Lippe gefühlt und gesehen, dass die aufgeplatzt ist.“

Hans-Jürgen N. war offenbar zu der Tankstelle in der Nähe gegangen, wo er auf die 20-jährige Nicole stieß, die aus dem Verkaufsraum der Tankstelle auf die Osterholzer Heerstraße getreten war. „Als ich mich umgedreht habe, hatte ich gleich einen sitzen. Da habe ich zurückgeschlagen. Dann hat er mich zu Boden gedrückt, hat mir die Jacke aufgerissen, mir an die Brust gelangt. Da habe ich um Hilfe geschrieen.“

Der Kassierer an der Esso-Tankstelle in Osterholz und ein Polizeibeamter, der zufällig in der Tankstelle war, konnten den Mann überwältigen. Er wurde vorläufig festgenommen. Am Tag darauf, dem Freitag, wurde er wieder freigelassen, weil das Gericht keinen Haftbefehl erlassen wollte. Noch am Montag darauf rechtfertigte Amtsrichter Hans-Joachim Gerboth vor buten&binnen die Tatsache, dass es keinen Haftbefehl an jenem Freitag gegeben hatte: „Wenn wir was haben, wären wir die letzten, die sich landläufig dagegen sperren. Wir hatten noch nichts. So wie es sich darstellte, sah es so aus, dass es wahrscheinlich dafür nicht reicht.“

Das Opfer Natalia dazu: „Das kann eigentlich nicht wahr sein, dass so einer frei rumläuft.“ Als sie das am Montag erklärte, wußte sie noch nicht, dass der Mann mit dem 6-jährige Jungen schon ein neues Opfer gefunden hatte.

Die dritte Tat, so erklärt die Staatsanwaltschaft, ist eine „sexuelle Nötigung“. Juristisches Kriterium sei die „Erheblichkeit“ der Tat, ein auch „je nach Schutzgut“ zu interpretierender Rechtsbegriff. Bei dem ersten Fall vom vergangenen Donnerstag habe es an der erforderlichen „Erheblichkeit“ gemangelt. „Erheblichkeit ist dabei sowohl normativ, d.h. nach ihrer Bedeutung, als auch qualtitativ, d.h. nach Intensität und Dauer ... Die Prüfung hatte im ersten Fall des überraschenden Greifens unter den Rück und an den Oberschenkel dazu geführt, die Voraussetzung des Tatbestands von einiger Erheblichkeit zu verneinen.“

Im Falle eines 6-jährigen Kindes könne man grundsätzlich von einer „schutzlosen Lage“ ausgehen, die der Täter ausnutzt. Dies begründe die „Erheblichkeit“. Bei einer erwachsenen Frau, der unter den Rock gegriffen wird, sei die „Erheblichkeit“ nicht gegeben, solange es vorher keine „Drohung mit Gewalt“ gab. K.W.