Sanfte Trauer

Geschichten aus Australien abseits der Backpack- und Four-Wheel-Drive-Szene. Geschichten vom monotonen Alltag und einer latent bedrohlichen Natur

Die Geschichten kommen völlig unspektakulär daher. Sie nähern sich dem Land unaufgeregt langsam. 14 kurze Texte, aus der Sicht einer bestimmten Person, manchmal eines Tieres. Australien, wie es ein Tourist erlebt, kommt in den Geschichten nicht vor, obwohl sie von einer Eingereisten geschrieben sind.

Was Cornelia Rühling beschreibt, könnte der Reisende höchstens auf der Durchreise erahnen. Möglicherweise dann, wenn er auf der stundenlangen Fahrt von A nach B in einem kleinen Ort am Straßenrand Halt macht: Das Leben im Outback

Alle Erzählungen spielen im Bundesstaat Victoria, aber weit weg von dessen Hauptstadt Melbourne. Die könnte auch auf einem ganz anderen Kontinent liegen, so weit entfernt ist sie und ihr Rhythmus von der Lebenswelt der Menschen im Outback. Deren Existenz ist gekennzeichnet und im wesentlichen bestimmt durch die Natur, die sie umgibt. Sei es die Hitze des Sommers, die das Buschfeuer in 25 Kilometer Entfernung vom Haus der Farmerfamilie entfacht hat, das jederzeit überspringen kann – sei es die Kälte des Winters, die einen 14-Jährigen auf dem Heimweg überrascht, in einer Schlucht, die er an sich kennt wie seine Westentasche, nur dass diesmal alles anders ist als sonst.

Das heißt aber nicht, dass die Menschen in Panik oder Hektik geraten. Sie erwarten nichts anderes von ihrem Land. Das Leben ist latent bedroht, aber die Bedrohung schlägt nicht um in Tod oder Verwüstung. Jedenfalls nicht innerhalb der Geschichten. Berichtet wird nur von dem Zustand der Erwartung, beispielsweise des Feuers. Ob es tatsächlich kommt oder nicht, ist dabei nicht relevant.

Häufig sind die Protagonisten der Geschichten ältere Leute, in deren Leben ohnehin fast nichts mehr passiert. Die Autorin Cornelia Rühling ist von Beruf Altenpflegerin, wenn auch nicht in Australien, und sie kennt sich aus mit diesem Lebensabschnitt. So verbringt ein Alter seinen Tag damit, in regelmäßigen Abständen zum Laden gegenüber zu gehen und sich mit dem zu versorgen, was er gerade braucht: Die Zeitung und den Toast am Morgen, das Fertiggericht aus der Konserve zum Mittagessen, den Kuchen am Nachmittag. Als der Geschäftsinhaber seinen Laden dicht macht und nach Melbourne zieht, scheint dem alten Mann die Lebensgrundlage entzogen. Man erwartet, in den nächsten Zeilen von seinem Tod zu lesen. Stattdessen verbringt er seine verbleibende Zeit beim örtlichen Automechaniker, der jeden Morgen die Zeitung aus der Stadt holt. Es geht ihm gut – wie immer.

Die Geschichten verzichten weitgehend auf Handlung, zum Teil zu weitgehend. Sie verharren stets bei einem besonderen Moment im Leben der Menschen. Sei es ein einmaliger, wie bei der Feuersbrunst, sei es ein immer wiederkehrender, wie bei dem alten Mann, der einen Angelpunkt in seinem Dasein braucht.

Man merkt den Erzählungen an, dass die Autorin das Land gut kennt und sich davan angezogen fühlt. Martin HagerCornelia Rühling: „Unter dem Eukalyptusmond. Australien in Kurzgeschichten“. Verlag Klaus Bielefeld, Friedland 1999, 102 Seiten, 14,80 DM