Harald und Bodo auf der Loveparade

Bei Sibylle Bergs Geschichten weiß man manchmal nicht so genau, ob sie nun lustig sein sollen oder traurig. Bei ihrer Lesung erklärt sie es darum dem Publikum lieber schon vorab

„Der Therapeut steht auf und schlägt ihr in die Fresse.“ – Bei Sibylle Berg tun die Menschen immer etwas, was man gerade nicht von ihnen erwartet. Nicht nur die Figuren ihrer Erzählungen oder Romane, auch die ehemalige Zeit-Kolumnistin selbst erfüllt keine Erwartungen. Nehmen wir zum Beispiel den netten Kollegen von der FAZ. Der sagt vor ihrer Lesung am Freitag, er sei nur gekommen, weil er das Cover ihres neuen Buches so aufregend finde und jetzt gespannt sei, ob sie denn den großen Hund auch mitbringe. Gelesen habe er im Übrigen noch nie etwas von ihr. Ich versichere ihm, dass sie meines Wissens nach in Zürich nur mit Katzen zusammenlebe – jedenfalls sei das vor zwei Jahren noch so gewesen.

Andere Vermutungen bestätigen sich. Erstens kommt sie zu spät: „Frau Berg muss sich noch die Nase pudern“, erklärt Ex-Bunte-Chefredakteurin Beate Wedekind und versucht damit die sich mittlerweile zu stapeln beginnenden etwa 150 Zuhörer in den Räumen der Galerie Pictureshow hinzuhalten. Zweitens hat Frau Berg keine lefzende Dogge im Schlepptau, sondern einen Mann. Und drittens bringt sie die FAZ auch noch um ihre dekolletéfreie schwarze Abendrobe und die roten Korkenzieherlocken, die die hagere Noblesse ihres Antlitzes auf ihrem neuen Roman „Amerika“ rahmen. Die FAZ faltet sich mit verschränkten Armen ein wenig enttäuscht auf ihrem Stuhl zusammen, während mir vor meinen Füßen auf einem Bildschirm ständig der silberne Ohrring in Frau Bergs rechtem Ohr entgegenblinkt. Das Fernsehen ist auch da.

Ein paar Stuhlreihen weiter vorne sitzt auf einem Podest die leibhaftige, 37-jährige Frau Berg mit langem, filzigem roten Haar, in einem kurzen schwarzen Jäckchen und Jeans, die in kniehohen schwarzen Schnürstiefeln stecken. Daneben jener Mann, der was von einem zerlaufenen Pfannkuchen hat und den Frau Berg als Dr. Peter Lau und ihre Vorgruppe vorstellt. Er hat ein Buch über „Harald und Bodo auf der Loveparade“ geschrieben, liest dann aber zwei lustige Deutschland-Geschichten. „Scheisegal“ und „fand ich echt scheise“ lispelt er niedlich vor sich hin.

Frau Berg findet Deutschland irgendwie auch scheiße, vor allem Weimar, wo sie aufgewachsen ist und das sie bereits 1984 unter ganz anderen Umständen als die üblichen Verdächtigen und Dissidenten verlassen hat. Irgendwie ist die Kindheit dumm gelaufen und die Puppenspielerei im Osten hat es auch nicht gebracht. Das mit dem Schreiben fing dann erst 1996 an, aber das Spiel mit den Puppen hat sie darüber hinaus nicht verlernt – sie lässt sie jetzt vor allem auf Papier tanzen. Die Marionette allerdings, die sie am besten beherrscht, ist sie selbst. Jedes Lächeln unter dem dicken Puder scheint von einem Faden gezogen, genauso wie die angezogenen Beine auf dem Stuhl oder die Hände, die mit den Armen vom Knie zur Rückenlehne und zu den Manuskripten auf dem Tisch mitwandern.

Frau Berg liest ein Kapitel aus „Amerika“. Darin möchte ein Mann seiner Frau – wie der Therapeut seiner Patientin – gerne in die Fresse schlagen. Das Publikum weiß bei solchen Passagen nie so recht, ob es lachen soll oder nicht, und die Gewaltschraube wird dann meist noch weiter gedreht. Was dazu führt, dass Frau Berg schließlich vorab erklärt, ob eine Geschichte nun komisch oder traurig sei.

Nach eineinhalb Stunden leuchtet auf dem Bildschirm zu meinen Füßen ein kunterbuntes Testbild, und Beate Wedekind schlägt vor: „Lesen Sie selbst, was Frauen wie Sibylle Berg zu sagen haben.“ Die FAZ meint: „Ich glaube nicht, dass das Literatur ist.“ Ein anderer, der auch kein Buch von der Berg besitzt, hält dagegen, die Geschichten seien mindestens so gut wie Boris Vian. Frau Berg spielt unterdessen noch einmal Marionette und signiert etliche Bücher von Sibylle Berg.

Petra Welzel