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Die Entscheidung muss bald fallen

■ Wann die Bremer ihre naturzuschützenden Gebiete an die EU melden, ist mitnichten egal, argumentierten gestern Experten

Ist Naturschutz in Bremen heutzutage Luxus? Kommen naturgeschützte Schlammpeitzger-Fische auch bei der Sozialdemokratie nur noch als Ingredienz für ein exquisites Kocherlebniss vor? Nein, wollte gestern die SPD-Bürgerschaftsfraktion Glauben machen, mitnichten! Und lud zum Expertengespräch ins Parlament. „Naturschutz – ein Luxus? Zur Anmeldung bremischer FFH-Gebiete“ war der Titel, der neben Abgeordneten vor allem Naturschützer von Hollerland-Initiative bis zur Aktionskonferenz Nordsee anzulocken vermochte.

Podiumsleiter und SPD-Parlamentarier Joachim Schuster stellte die Arbeitsthese vorweg, auf die später seine drei Gäste eingingen: „Die Debatte über Naturschutz wird in Bremen derzeit auf sehr niedrigem Niveau geführt“. Hauptthema des Abends: Muss Bremen Gebiete wie das Hollerland nicht endlich an die Europäische Union als naturschützenswertes Gebiet melden, will man keine empfindlichen Strafen riskieren? Die drei Podiumsgäste waren sich einig: Jup!, und zwar schnell.

Bernd Lange etwa, Mitglied des Europa-Parlaments: Mit der Meldung der FFH-Gebiete an die EU hinken inzwischen nur noch Irland, Portugal und Deutschland hinterher. Jede Planung, die derzeit auf EU-Geld aus Strukturfondstöpfen baue, stehe unter einem Damoklesschwert: Denn hier drohe die EU nach wie vor Sanktionen an, wenn nicht bald gemeldet werde. Immerhin: Die Gefahr, dass einzelne Bundesländer, die ihre Flächen gemeldet haben, darunter leiden sollen, dass andere Bundesländer noch nicht so weit sind, scheine gebannt.

Auch Hermann Cordes, Professor für Ökologie und Evolutionsbiologie an der Bremer Universität, schlug in die gleiche Kerbe. In allernächster Zeit müsse in Bremen eine Entscheidung fallen. Cordes versuchte, mit einem Vorurteil aufzuräumen: Dass nämlich die Bremer Natur lediglich aus sauren Wiesen und vereinzelten Schlammpeitzger-Rudeln bestehe. Im Hollerland und anderswo gebe es derart viele Pflanzen und Lebewesen, die auf der roten Liste stünden, dass Flora-Fauna-Gäste aus Süddeutschland jedesmal der Kiefer nach unten und dann der Satz falle: „Dass es das noch gibt!“. Ein Wunder sei vor allem, dass die Marketing-Experten diese Artenvielfalt noch nicht für überregionale Vermarktungsstrategien entdeckt hätten.

Georg Musiol aus dem Bremer Umweltressort erinnerte daran, warum in Bremen die Debatte um FFH-Naturschutz so zäh in Gang kam: Als Folge des Streits um Vogelschutzgebiete Anfang der 90er Jahre in Bremen sei man danach womöglich übervorsichtig bei der Meldung von Schutzgebieten geworden. Musiol aber glaubt an eine baldige Entscheidung im FFH-Zwist zwischen CDU und SPD: Drei weitere in Auftrag gegebene Gutachten lägen jetzt vor, Vergleiche mit anderen Bundesländern seien gezogen worden. Die anderen Bundesländer würden Bremen drängeln, endlich zu Potte zu kommen. „In den nächsten Wochen muss es eine Senats-Entscheidung geben, die die fachlichen Erkenntnisse berücksichtigt“, fordert Musiol. Abwarten. cd

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