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Linksdrehend um die neue Mitte: das erste „Streitgespräch“ an der Schaubühne

Der Sonntagshimmel war strahlend blau. Das ist selten im Berliner Februar, aber umsonst. Kapitalismuskritiker mussten ihn trotzdem gegen einen fensterlosen Theaterraum tauschen, denn an der Schaubühne fand das erste „Streitgespräch“ statt, eine Diskussionsreihe, die fortan an jedem letzten Sonntag im Monat das Verhältnis von Politik und Ästhetik untersuchen soll. Ein Bedürfnis nach solchen Auseinandersetzungen ist offensichtlich vorhanden: Bei der ersten Veranstaltung „Entpolitisierte Gesellschaft? Linke Gesellschaftskritik im Zeitalter der Neuen Mitte und der Auftrag des Theaters“ waren die Zuschauertribünen des kleinen Saals bis in die letzte Reihe gefüllt, für viele Interessierte gab es nur noch harte Treppenplätze. Der intellektuelle Mehrwert zur Entschädigung fiel indessen etwas rar aus.

Unter der Leitung des Publizisten Mathias Greffrath und des Theaterwissenschaftlers Wolfgang Engler waren Robert Schuster, Mit-Intendant des Frankfurter Theaters am Turm (TAT), und Hausherr Thomas Ostermeier geladen, ihre künstlerischen Strategien im Umgang mit der Wirklichkeit zu diskutieren. Ein wenig erinnerte diese Auftaktveranstaltung jedoch an das Gesamtdilemma des Neustarts an der Schaubühne: Idee gut, Umsetzung offensichtlich schwieriger. Zum einen war es nicht gelungen, wie beabsichtigt Künstler mit Theoretikern und Praktikern anderer Bereiche zusammenzuführen. Zwar ist es für die kommenden Monate gelungen, Richard Sennett und Pierre Bourdieu zu interessieren, doch der Auftaktswunschkandidat Joschka Fischer kam nicht.

So gab es statt produktiver Konfrontation Resümees des State of the Kapitalismuskritik von Greffrath und Engler, die ihnen vom Publikum den Vorwurf des Festhaltens an längst überholten Kategorien des vergangenen Jahrhunderts einbrachten (Stichwort binäres Denken). Ergänzend wurden die Künstler zu ihren Berliner Produktionen befragt. „Personenkreis 3.1“ ist „ein Abgesang auf die Klassengesellschaft, eine Totenmesse für die, die nicht mal mehr in einer Klasse vorkommen“, erklärte Ostermeier, was das Publikum zwänge, sich mit seiner Schuld auseinanderzusetzen. „Das Kontingent“, ein Modelltheaterstück aus dem affirmativen Hause TAT, will vor allem „Unentscheidbarkeiten aufzeigen“. So gab es das Allgemeine und das Spezielle, aber keine erhellende Durchdringung. Die Fragen, was Realismus auf der Bühne bedeutet oder welche Formen der Aufklärung heute möglich sind, wurden nicht angegangen. Doch auch dem Streitraum sei anfängliches Tasten zugestanden. Christiane Kühl