Geile Ghetto-Impressionen sind tabu

■ Weil das Pennäler-Gepoppe im TV-Movie „Nacht der Engel“ am Jugendschutz scheiterte, muss RTL heute kindgerecht per Internet morden lassen („www.maedchenkiller.de“, 20.15 Uhr)

Kann ein Programmverantwortlicher bei RTL Bauchschmerzen bekommen? Eigentlich darf man nicht allzu skrupellös veranlagt sein, wenn man ständig Eigenproduktionen durchwinken muss, die im Titel stets eines der drei Schlagworte „Sex“, „Mord“ oder „Geschäft“ tragen müssen– und im Idealfall sogar alle drei auf einmal.

Doch auch bei einem Privatsender gibt es Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen. Ein Tabu heißt „Geschlechtsverkehr mit Minderjährigen“, ein anderes „Experiment“. Das eine ist juristisch begründet, das andere ökonomisch. In der RTL-Produktion „Nacht der Engel“, die eigentlich heute Abend laufen sollte, werden gleich beide Tabus gebrochen.

Irgendwie glorreich – wenn auch sonst nichts Glorreiches an diesem feuchten Traum aus Pumpgun-Gaudi und Pennäler-Gepoppe auszumachen ist.

Bei RTL wahrt man zum Thema Absetzung von „Nacht der Engel“ Zurückhaltung. Georg Vetten, Leiter der Presselstelle, meint diplomatisch: „Die Bildästhetik ist eine experimentellere.“ Aus dem Bauch heraus seien die verantwortlichen Redakteure nach Fertigstellung zum Jugendeschutzbeauftragten des Senders gegangen. Der habe angeraten, den Film der Freiwilligen Selbstkontrolle (FSK) vorzulegen. Die habe dann wiederum eine Freigabe ab 16 angeordnet – und somit das Verbot einer Ausstrahlung um 20.15 Uhr. Da RTL seine Eigenproduktionen jedoch zur werbeträchtigen Prime-Time senden muss, damit die Kosten wieder eingefahren werden können, soll „Nacht der Engel“ Ende des Jahres in neuer Schnittfassung laufen.

Wer das zweifelhafte Vergnügen hatte, diesen „Thriller mit sozialkritischen Hintergrund“ (Presseleiter Vetten) vorab zu sichten, fragt sich allerdings, wie er durch einzelne Cuts entschärft werden soll. Schließlich ist der Film, der von dem brutalen Treiben in einem Hochhaussilo erzählt, nichs anderes als ein ungehemmter Fluss billigster spekulativer Gewaltdarstellungen. Frei von jeglicher Struktur, voll von geilen Ghetto-Impressionen. Teenager kopulieren hier an Heizungsrohren gefesselt, oder sie gucken mit traurigen Kinderaugen auf Star-Wars-Figuren, während sie vergewaltigt werden. Man kann so höflich sein und vermuten, dass Regisseur Michael Rowitz mit dem gleichen Impetus zu Werke gegangen ist wie einst Oliver Stone für seinen Pädagogen-Schocker „Natural Born Killers“ – de facto bleibt seine erzählerische Zielsetzung aber vollkommen unklar.

Vielleicht war Rowitz einfach nur unfähig, seinen großen Vorbildern – neben Stone offensichtlich auch John Woo – nachzueifern.

Vielleicht haben ihm aber auch von Anfang an die RTL-Redakteure derart ins Handwerk gepfuscht, dass er gar keine Chance hatte, „seinen Film“ zu drehen. Denn wie aus gut unterrichteten Kreisen zu hören ist, gab es jedenfalls schon bei der Absegnung des Drehbuchs einen Eklat nach dem anderen. Und dass der Film erst sechs Wochen vor dem geplanten Sendetermin der FSK vorgelegt wurde, legt ebenfalls die Vermutung nahe, dass sich Produktion und Nachbearbeitung durch Unstimmigkeiten in die Länge gezogen haben.

Zusätzliche Schwierigkeiten hat vermutlich die relativ prominente Besetzung bereitet, für die sich RTL sicherlich ein massentaugliches Filmvehikel gewünscht hätte: Neben Oliver Korittke (wird vielleicht mal der deutsche Tim Roth) agiert Herbert Knaup (war früher mal der deutsche Harvey Keitel).

Wie schön, dass „www.maedchenkiller.de – Todesfalle Internet“, der jetzt von einem späteren Sendetermin vorgezogen wurde, dagegen alles besitzt, was einen RTL-Thriller in der Regel ausmacht. Zwar ermittelt Jochen Horst (wird wohl immer nur der deutsche „Balko“ bleiben) als Polizeipsychologe einen Fall, bei dem Schulmädchen von ihrem Computer aus in die Hände eines Gewaltverbrechers gelockt werden. Doch die Tabuthemen „Sex mit Minderjährigen“ und „Experiment“, die der Stoff impliziert, werden Prime-Time-konform abgehandelt. Der Geschlechtsakt mit den minderjährigen Opfern ist nur angedeutet; das Medium Internet, das ja eigentlich zu neuen ästhetischen Konzepten einlädt, funktioniert hier lediglich wie ein etwas mysteriöser Kettenbrief. Und die Handlung ist ziemlich absehbar. Weshalb an dieser Stelle auch verraten wird, wer hinter all dem Morden steckt: Es ist natürlich die geheimnisvolle Blondine, in die sich der Ermittler verliebt.

Mal ehrlich: Wer die ganze Nacht hindurch mit wallender Mähne in einer kerzenbeleuchteten Fabrikhalle Cello spielt, kann ja nicht ganz dicht sein.

Christian Buß